Die Welle ist praktisch nicht zu erkennen. Ihr Kommen kündigt sie nicht an. Einzelne Papierschnipsel, im Vorfeld abgegeben, belustigen den Laien. Der Fachmann aber weiß, was nun kommt. Pünktlich mit der Einschulung bricht die Welle sich dann Bahn, verschlingt einem Tsunami gleich jegliches Unterrichtsgeschehen: „Du hast erst 12,50 € abgegeben, da fehlen noch 35,50 €!“ – „Richtig, die Info über das Mittagessen habe ich unterschrieben hier, aber es fehlen noch die Anmeldedaten für das Abrechnungssystem! Das waren zwei Zettel!“ – „Von dir habe ich – lass mich kurz nachsehen – nein, Timo, du bist gleich dran – ja, Lisa, von dir habe ich alles bis auf die Unterschrift der Aktionstage. Äh, Lena.“ Wohl dem, der sich noch über Wasser halten kann und sich nicht im papiernen Strudel der Listen verliert.

Das Leben ist – das wurde schon an anderer Stelle festgestellt – eine Liste, gar eine Liste von Listen (Russell, ick hör dir trapsen!), insbesondere das Schulleben. Was jedem Bürokraten wolllüstige Schauer über den Rücken jagt, mutet dem Pädagogen wie eine Strafe der Öffentlichkeit für die vemeintliche Leichtigkeit seines Tuns an: Schülerinnen und Schüler, Eltern und Erziehungsberechtigte müssen über möglichst viele Vorgänge des Schulalltags informiert werden. Kann man akzeptieren (oder, in Jugendsprache ausgedrückt: Isso). Aber auch die Lehrkräfte müssen darüber informiert werden, welche Schülerinnen und Schüler, Eltern und Erziehungsberechtigten sich über die besagten Vorgänge informiert haben und sie ggf. darüber informieren, dass sie sich noch nicht informiert haben – die Geburt des berühmt-berüchtigten Antwortabschnitts im praktischen 4x21cm-Format. Und dieser kleine, harmlos erscheinende weiße Bandwurm gebiert den Listentsunami. Taucherbrillen auf, Nase zuhalten – hier kommt sie, die Liste der Listen: Pauschalbetragzahler, Aktionstagteilnehmer (eigenes Fahrrad?), über Mittagessen Informierte, am Mittagessen Teilnehmende, die Schul-/Jahrgangsordnung Akzeptierende, die Regeln an der Bushaltestelle Einhaltende, das Recht am eigenen Bild Wahrende, Geburtstage, Telefonnummern, Klassendienste, AWT-Mischgruppen, AG-Teilnehmer, Sprachlernklassenmitglieder,… langsam läuft die Welle aus. 

 

Doch das war erst der Anfang. Am Horizont türmen sich bereits weitere Kaventsmänner auf: Kurslisten verschiedener Wahlpflichtkurse und Fremdsprachen, fachleistungsdifferenzierende Kurse in verschiedenen Bändern, bis dann am Ende die Apokalypse naht: Gremien für die Abschlussfeierlichkeiten, eingegangene Zahlungen für verschiedene Devotionalien des Abschlussmarathons, Zeugnisnoten, Schulabschlüsse, gluck, gluck gluck. Und weigert man sich, über alles und jeden eine Liste zu führen, tut es die Verwaltung und legt vorgefertigte Listen in die Postfächer. Du kannst der Welle nicht entkommen! Du hast keine Chance, als dich selbst zu über-LISTEn.

Zukunftsprognosen liegen regelmäßig vollkommen daneben. Das hat mir jüngst wieder einmal der Film „Zurück in die Zukunft“ bestätigt, wo fliegende Autos im Jahr 2015 (!) gang und gäbe sind, etwas Bahnbrechendes wie das Internet jedoch völlig fehlt (stattdessen ist das Fax die vorherrschende Kommunikationsform). Hätte mich vor 20 Jahren jemand gefragt, ob die guten alten Antwortabschnitte im Jahr 2016 noch in Gebrauch sein würden, hätte ich ihm sicher den Vogel gezeigt und behauptet, dass sämtliche Eltern-Schule-Kommunikation dann wohl selbstverständlich übers Internet ablaufen würde. Tja, falsch gedacht. Die weißen Abschnitte werden wohl noch bei der Anmeldung zum letzten Flug der letzten Rakete weg von diesem Planeten zur Anwendung kommen. Auf dass der Tsunami niemals verebbe!