Button Mr. HO 90x90Die Referentin huscht, das Mikro in der Hand, durch die Sitzreihen. Bei einem trübsinnig dreinblickenden Altpädagogen bleibt sie stehen, legt ihm die Hand auf den Kopf und fragt: „Warum bist du hier, mein Sohn?“ Allein durch ihre Präsenz wird der Angesprochene urplötzlich von Weinkrämpfen geschüttelt: „Ich bin seit über 30 Jahren im Beruf… es ist alles so sinnlos! Keiner respektiert mich, alles ist Chaos, die Abläufe völlig monoton…ich weiß einfach nicht mehr weiter!“

Die Moderatorin schließt die Augen und nickt verständnisvoll: „Dir kann geholfen werden!“ Dann, dem Publikum zugewandt: „Wie können wir dieser armen Seele helfen?“ Als Antwort schallt ihr ein vielstimmiges: „Binnendifferenzierung! Binnendifferenzierung!“ entgegen. Sie breitet die Arme aus: „Ich spüre viel Fachkompetenz heute in diesem Raum. Lasst uns unsere pädagogischen Kräfte vereinen!“ Von irgendwoher findet nun das Redemanuskript seinen Weg in den Schoß des greinenden Kollegen, dessen Schultern bereits von links und rechts eifrig getätschelt werden. Dieser blickt auf, sieht durch den Tränenschleier die Erleuchtung, die ihm im Gestalt der ausgedruckten PDF-Datei gerade zuteil wurde, und beginnt zu singen: „Sie hat die ganze Welt in ihrer Hand…“

Ja, liebe Außenstehende, so geht es zu bei Lehrerfortbildungen. Ein bisschen Shopping-TV, eine Prise Südstaatenpredigertum und ein Gutteil Ortsratssitzung, das sind die magischen Zutaten, die diese Termine immer unvergesslich machen. Moderiert von gestandenen Lehrerinnen und Lehrern („Ich möchte Sie einladen, ich möchte Sie mitnehmen…!“), die nichts weniger als den heiligen Gral der Pädagogik, die Weltformel, die Quintessenz der Bildung versprechen, erhält der geneigte Zuhörer hier von praktischen Tipps über Handreichungen bis hin zu komplett ausgearbeiteten Unterrichtskonzepten alles, was sein Herz begehrt – außerdem noch eine Tasse Kaffee nebst Keksen. Das Gruppengefühl im Kreise anderer Frustrierter ist unbeschreiblich, Verabschiedungen am Ende eines langen Tages enden nicht selten tränenreich, weil man nun wieder zurück an die heimische Schule muss, wo man unverstanden von allen vor sich hin unterrichtet. Hier aber ist man Mensch, der ernstgenommen wird mit all seinen Problemen und Unzulänglichkeiten. So lässt man sich gerne von warmen Worten einlullen und sieht sich bereits im Geiste als Held der nächsten Unterrichtseinheit, der den gordischen Knoten durchschlagen hat.

Doch plötzlich kommt Unruhe im Publikum auf. Stirnen werden gerunzelt, Köpfe geschüttelt, Kaffee nachgeschenkt. Altgediente melden sich zu Wort und sprechen die Häresie aus: „Das funktioniert mit meiner Klasse nie im Leben!“

Der Referentin steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, doch routiniert packt sie ihr rhetorisches Arsenal aus: „Genau das habe ich am Anfang auch gedacht!“ – „Natürlich ist aller Anfang schwer, aber blicken Sie in drei Monaten zurück…“ – „Vielleicht sind Sie noch nicht bereit für die Methode…?“

Jetzt braucht die Pädagogikverkäuferin dringend Unterstützung aus dem Plenum, hofft auf Wortmeldungen, die ihr Gedankengebäude stützen, anstatt, wie nun immer zahlreicher, daran zu rütteln: „Das sollen die Kinder selbständig erarbeiten?!“ – „In nur drei Doppelstunden?!“ – „Und wer soll das alles ausarbeiten?!“ – „Die lachen mich doch aus!“

Es ist zu spät, die Stimmung ist gekippt, das Luftschloss bricht in sich zusammen wie eine Hüpfburg, der man den Stöpsel gezogen hat. Die Predigerin führt nur noch rhetorische Rückzugsgefechte („…ist sicher noch nicht ganz ausgegoren…“) und verweist auf die Dateien, die man sich auf den mitgebrachten Speicherstick ziehen möge.

Auf dem Flur dann versichert man sich noch einmal kopfschüttelnd des Unsinns, der gerade verbreitet wurde. Eine letzte Nachfrage, bevor man auseinandergeht: „Ist nicht in drei Wochen die Fortbildung zum Thema Gruppenarbeit?“ – „Ja, ich bin auch da.“ – „Na prima, dann sehen wir uns! Bis dann!“