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Was ist los, wenn sich fünf Schülerinnen oder Schüler am Gerät zu schaffen machen, während die Lehrkraft hilflos danebensteht, sich den Schweiß von der Stirn wischt und sekündlich auf die Uhr sieht, weil der sorgsam erdachte Stundenverlaufsplan sich gerade in Makulatur verwandelt?

Richtig, wieder einmal ist ein Pädagoge oder eine Pädagogin in die Medienfalle getappt. Hat es gewagt, einmal Computer, Dokumentenkamera oder Musikanlage in die analoge Ödnis des Unterrichts einzubringen, um Motivationspunkte bei der Schülerschaft abzufischen oder eine ineffiziente Erarbeitungsphase zu beschleunigen. Die Anzahl moderner Unterrichtsmedien mag noch überschaubar sein – die Anzahl möglicher Fehlfunktionen, Defekte und anderer Glitches aber ist Legion: W-LAN nicht auffindbar, PC führt halbstündige Updates durch, keine Anmeldeserver mehr verfügbar, Beamer reagiert nicht, Boxen bleiben stumm, Mozilla scheint…langsam…zu…starten, Kamera liefert kein Bild, DVD ist nicht abspielbar,… Wer eine halbwegs vollständige Liste möchte, dem sei der Deichkind-Song „Ich und mein Computer“ empfohlen.

Im Umgang mit technischer Unbill zeigt sich jedoch, wer sofort kapituliert („Nie funktioniert sowas! Jetzt reicht’s! Ich mach das nie wieder!“), wer sich ansatzweise aus der Ruhe bringen lässt („Von euch kennt sich da keiner aus, oder?!“) und wer ein wahres Pokerface beherrscht („Nur die Ruhe. Das Video zeige ich euch nach der Arbeitsphase!“). Wer seine Lerngruppe kennt, weiß auch sofort, wen man fragen kann, der das Problem in unter einer Minute löst, und wen man besser nicht fragt, weil er es vielleicht (absichtlich?) sogar verschlimmert. Als Faustregel gilt: Wenn mehr als drei Kinder am Gerät herumfuhrwerken, ist es höchstwahrscheinlich völlig im Eimer und der IT-Fachmann muss anrücken. Das bedeutet natürlich für den überforderten Wissensvermittler, dass der Rest der Stunde analog verlaufen muss. Dafür haben perfekt vorbereitete Lehrkräfte natürlich vorgesorgt, denn auch in Zeiten von Tablet-Klassen und Iserv-Management muss der analoge Notfallplan immer am Mann sein.

Schillers Räuber gibt’s nicht auf Youtube und der Fernseher mit VHS-Rekorder ist weg? Hurtig ein Drehbuch hervorgezaubert, das mit verteilten Rollen gelesen wird! Die Mathe-App mit automatischer Lösungskontrolle streikt? Her mit dem guten alten Partner-Kontrollsystem! Das Smartboard verweigert auch nach intensivem Streicheln mit Handflächen und elektronischen Stiften die Kommunikation? Zum Glück gibt es sie noch, die guten alten grünen zwei Quadratmeter plus Kreide. Wenn uns die Digitalisierung eines gelehrt hat, dann das: Verlasse dich niemals voll und ganz auf die Technik! Vermutlich sind all die schweren Ausnahmefehler sogar pädagogisches Kalkül des Ministeriums, bringen sie doch Schülerinnen und Schüler, ohne dass diese es merken, mit echten Problemen aus dem realen Leben in Kontakt, auf dass sie dabei ihre technischen Fähigkeiten verbessern, gemeinsam im Team nach Lösungen suchen oder strategisch Fehlerquellen ausschließen. Als Lohn winken dann nicht nur echte intrinsische Motivation (das sind die Omega-3-Fettsäuren der Pädagogik), sondern auch das erhabene Gefühl, als Schüler über seinen Meister triumphiert zu haben.




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Seit zehn Jahren arbeite ich mit dem TI 84-Plus, einem grafikfähigen Taschenrechner, aber eher ein Tamagotchi als ein High-End-Gerät. Und immer noch passiert es mir, dass ich eine Kette von Befehlen an die Tafel schreibe und daraufhin eine Meldung aus der letzten Reihe bekomme: „Das geht auch anders, man muss nur hier und hier drücken!“ Blick links und rechts, wissendes Nicken, kaum verhohlenes Schmunzeln. Aber da steh ich drüber. Weiß ich doch genau, dass der Fehlerteufel der Technik auch gern unter der Schülerschaft wütet und schon bald wieder traurige Kulleraugen nebst hochgehaltenem Rechenknecht vor mir stehen: „Bei mir kommt immer Error!“ Dann lehne ich mich zurück, winke den am Boden Zerstörten gönnerhaft heran und löse das Problem. In drei Sekunden. Strike!