Der Schüler verdreht die Augen, bläst die Backen auf, sinkt auf dem Stuhl zusammen. Durch die ungünstige Bewertung, die er gerade vermittels der Rückgabe des prüfungsrelevanten Dokuments bekommen hat, sieht er seine Felle urplötzlich davonschwimmen. Das Resultat seiner, nennen wir es mal, Bemühungen spottet allen Verdrängungsmaßnahmen der vergangenen Monate Hohn.

Feixend zählt der Lehrer die Sekunden, denn er weiß genau, dass sein Schützling nun zu Kreuze kriechen wird und er gleich zu einem Vier-Augen-Gespräch gebeten werden wird, in dessen Verlauf der Elende unvermeidlich zerknirscht murmelnd die alles entscheidende Frage stellen wird: „Kann ich vielleicht noch eventuell ein Referat halten, um meine Note ein wenig zu bessern?!“

Ich erinnere mich, dass während meines Studiums die Präsentationsform des Referats fester Bestandteil der Lern- und Lehrkultur war (und vermutlich immer noch ist) – im Pädagogikstudium sogar Hauptbestandteil, so dass der etwas mundfaule Dozent in der ersten Sitzung nur noch die Perlen des Themenkanons an die Wand des hoffnungslos überfüllten Seminarraums vor die überaus zahlreich erschienenen Säue zu werfen hatte und von da an jede Sitzung schon fertig geplant war: Referat – Handout – Feedback – zack, fertich, dann bis Donnerstag. Ein erboster Professor jedoch traf mich ins Mark, als er das Referat als verlorene Kunstform hochstilisierte und uns Studierenden pauschal jede Begabung dafür absprach, ja sich gar zu der Tirade verstieg, er werde keine Referate in seinem Seminar zulassen, wir hätten auf der Schule ohnehin nie vernünftig gelernt, wie so etwas zu halten sei.

Sprung zurück in die Gegenwart: Der Schüler hat seinen Notenrettungsring in Form des Referatsthemas zugeworfen bekommen und darf zwei Wochen vor Sendeschluss noch zur allgemeinen Belustigung des Kurses über Speichermedien im Wandel der Zeit, Julius Cäsars Psychogramm oder Seurats Pointillismus schwadronieren – kaum thematische Anbindung, keine Klausurrelevanz. Was nun folgt, hat das Etikett „mündliche Leistung“ kaum verdient: Vor dem Hintergrund einer notdürftig am Vorabend zusammengeschusterten Powerpointpräsentation, an deren Ende Wikipedia als wichtigste Primärquelle klar zu erkennen ist (wenn nicht gar Google), stottert der publikumsungewohnte Oberstufler das, was in halbwegs deutlicher Form bereits auf den Folien zu lesen ist, nochmal unverständlich für alle in den Raum.

Glücklich dürfen sich die Zuschauer schätzen, wenn der Kandidat die Möglichkeiten des Präsentationsprogramms nicht vollends ausgeschöpft hat (und etwa die Einblendung jedes einzelnen Buchstabens mit einem speziellen Sound versehen hat, vom übermäßigen Gebrauch von Sternchenblenden gar nicht erst zu reden). Meist vermeidet er dann auch den Augenkontakt mit potentiellen Interessenten seiner Ergüsse, sondern widmet sich größtenteils der Projektionswand. Nach überstandenem Vortrag und erwartungsgemäß ausbleibenden interessierten Nachfragen sowie Feedback des Auditoriums fragt man den Referenten nach seinem Handout – und bekommt das Papier in die Hand gedrückt, von dem er seine Redeimpulse abgelesen hatte: „Ich dachte, Sie kopieren das vielleicht dann für alle…“

Seufz.

Der Professor hatte doch Recht…oder?

Nein – es gibt sie noch, die gut vorbereiteten, von langer Hand geplanten, stimmig zusammengestellten, optisch ansprechend gestalteten und eloquent vorgetragenen Referate. Ich war dabei! Wer allein das Thema Differentialgleichungen als Referatsthema akzeptiert, hat meinen vollen Respekt – wer daraus aber dann noch einen Vortrag gestaltet, der nicht nur den gängigen Standards genügt, sondern das Publikum mit einbezieht und begeistert, dass man fast seinen Beruf an den Nagel hängen möchte, vor dem verneige ich mich.

Aber, um es mit aller Deutlichkeit zu sagen: Nein, keine Referate als Notenretter kurz vor Sendeschluss!

Bitte nicht.