„Komm, fort aus der Zone!“ (Folge 104)


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Bei der Inselrallye auf Sylt soll eruiert werden, wie teuer die Eigenheime in den Hörnumer Dünen sind. Da vorne arbeitet eine Frau im Garten, die fragen wir mal!

Ein Bällchen, das aus Quark, Weizengrieß, Honig und Mohn besteht und nach antikem römischen Rezept in Öl gebraten wird – das soll ich essen?

Wir brauchen im WDR-Fernsehstudio für die selbst produzierte Show noch einen Talkgast – und das macht Arne, ansonsten mündlich selten in Erscheinung getreten, der jetzt aber als Neubesitzer eines Friseursalons die Rolle seines Lebens spielt.

Drei Beispiele, in denen jemand seine Komfortzone verlässt – und davon profitiert. Zugegeben, es sind alles nur kleine Schritte, aber schon dieses Verlassen kostet viel Kraft. Denn wie ihr Name schon sagt, ist die Zone sehr komfortabel. Es ist alles easy, leicht verfügbar, entspannt, anstrengungslos, chillig: Häuser auf Sylt? Digga, ich quatsch keine Leute an, frag einfach Google! Römische Quarkbällchen? Nein danke, ich nehm das Brötchen, da weiß ich, was ich hab! Ich mich vor ner Fernsehkamera zum Honk machen? Nee,  da spiel ich lieber den Showzuschauer!

Natürlich, Google fragen, Brötchen essen und zuschauen ist einfacher, mit null Reibung verbunden – aber genauso schnell vergessen. Weil schon bekannt und hundertfach abgehakt. Dabei steht das Gehirn total auf Neues, denn neu gleich unbekannt gleich interessant. Warum sonst ist wohl auf den meisten zu bewerbenden Produkten dieser sternförmige Button mit der Aufschrift „Neu!“ zu finden? Neues löst den Prozess der Akkomodation bzw. Assimilation aus, die Grundlage des Lernens. Hat der olle Piaget sich ausgedacht – im Klartext: Entweder das Neue passt in eine von meinen Schubladen oder ich muss meine Kommode umbauen, damit es passt.

Nun fällt es bei einem zeitlich und räumlich monotonisierten Schulablauf – denn alles steht ja unter der Prämisse der Organisation und der Effizienz – nicht so leicht, täglich für aufregende neue Erfahrungen zu sorgen. Sicherlich, beim Umblättern jedes Schulbuchs auf die nächste Seite offenbart sich wieder Unbekanntes, aber der Thrill hält sich doch sehr in Grenzen. Weshalb man im Referendariat gelernt hat, das neue Thema oder den neuen Aspekt möglichst schülerfreundlich und erlebnisorientiert zu verpacken, auch wenn es manchmal schwerfällt (Kennt ihr diese Szene aus „Tatsächlich Liebe“, in der Mr. Bean eine Halskette endlos lang als Geschenk verpackt, sehr zum Ärger von Alan Rickman? So ungefähr.).

Und die eigene Komfortzone verlässt man beim Blättern im Schulbuch auch nicht unbedingt. In Zeiten der Pandemie noch viel weniger: Der Wechsel zwischen Bett, Schreibtisch und Schulbank ist Routine geworden, vom Lehrer forcierte Ausbrüche aus derselben werden nur als störend empfunden, selbst wenn es um die Aussicht auf eine mögliche Abschlussfahrt nach Berlin geht („Hab ich jetzt auch nicht soo viel Gutes von gehört…“)*. Dennoch, möglich ist es. Drei Perlen, die ich in letzter Zeit aufgesammelt habe: Das Betriebspraktikum. Trotz erzwungener Verkürzung auf 1,5 Wochen für die allermeisten Neuntklässler*innen ein echter Horizontöffner. Der Schüler mit syrischem Migrationshintergrund, der aus freien Stücken in der Klassenstunde über den Konflikt in seinem Heimatland berichtet – ohne irgendeine Note dafür zu bekommen. Die angehende südafrikanische Schwiegertochter des Englischlehrers, die sich per Videokonferenz mit dem Englischkurs über unterschiedliche Lebenssituationen unterhält. All das bleibt im Gedächtnis.

Und natürlich sollte man auch sich selbst als Lehrperson ab und zu aus der didaktischen Reserve locken. Statt „Ohne Tafel, Kreide und Schüler kann ich keinen Unterricht machen“ sollte man sich sagen „Lass es uns versuchen, unter Ausschöpfung aller technischen Möglichkeiten“. Den Praktikumsbesuch auf ein Minimum reduzieren – oder die Chance nutzen, mit Vertretern eines Berufsstands ins Gespräch zu kommen, denen man ansonsten kaum begegnet. Die Lawinenmethode als didaktischen Quatsch abtun – oder sie einfach mal ausprobieren. Den Mr. HO-Artikel einfach nur überfliegen – oder endlich mal ein Feedback schreiben. Schreib dich nicht ab. Verlass mal deine Komfortzone. Sie läuft dir nicht weg. Und wenn doch – wie spannend wäre das!   

* siehe auch Folge 54 „Ende Legende?“


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