„Die Kaugummi-Chroniken“ (Folge 142)

Lange hat es sich angebahnt, doch jetzt gibt es kein Zurück mehr. Es ist an der Zeit, endlich den Kampf aller Kämpfe auszutragen, damit ein für alle Mal geklärt ist, wer Recht hat und den anderen triumphierend auslachen kann und wessen Recht sich durchsetzen wird. Es ist im folgenden Text also mit erhöhter Ausrufezeichendichte zu rechnen. In der Mitte des Rings: Der Kaugummi, auch Kaugummi im Unterricht genannt. Streitobjekt von Generationen von Lehrkräften und Schüler*innen. Verfügbar in der klassischen Menthol-Variante oder verspielt-fruchtig mit Knallblasen-Potential. So weit, so neutral.

Und hier, in der blauen Ecke, kommt auch schon - der Schüler! (bitte ganz laut und langsam lesen und dabei an Michael Buffer denken!) Angriffslustig und selbstbewusst wie immer, schnallt er sich die Boxhandschuhe um und pocht schon mal probeweise auf sein Recht.

In der roten Ecke gegenüber: Der Lehrer (ihr wisst schon: Michael Buffer)! Siegessicher und passiv-aggressiv grinsend: Wir wollen uns hier nur in einen gesitteten Austausch begeben (und nachher machen wir es so, wie ich mir das gedacht habe). Doch davon wird sich die Schülerschaft diesmal nicht täuschen lassen, da bin ich ziemlich sicher. Und da ertönt auch schon die Glocke! Während der Lehrer sich noch selbstsicher vom Publikum feiern lässt, landet der Schüler, aufgeweckt wie er ist – bereits den ersten Kopftreffer: „Kaugummi kauen ist gut für die Konzentration! Nimm dies, Bildungssystem!“ Da wurde der Lehrer auf dem falschen Fuß erwischt, aber er fängt sich schnell wieder: „Zeig mir doch mal eine Studie zur Wirksamkeit! Kannste nicht, was? Hat dir keiner das Zitieren beigebracht, was?“ Unbeirrt kommt der nächste Vorstoß: „Schule sollte ein Vorbild für Zahnpflege sein und da helfen Kaugummis!“ Jetzt Schlagabtausch in schneller Folge: „Soso, Zuckerkaugummis helfen, die Zähne zu pflegen?!“ „Nein, aber es gibt Zahnpflegekaugummis!“ „Deren Wirksamkeit belegt ist durch welche Studie?“ „…“Zuletzt 2004 von Dawes und Kubieniec, zumindest, was Speichelfluss und Speichel-pH-Wert angeht!“ Schöne Parade, da kann man nicht meckern.

Jetzt ist der Lehrer am Drücker: „Kaugummis unter Schultischen sind ein Ärgernis für die Ewigkeit, das ist Sachbeschädigung!“ Tja, stark angefangen und dann doch so ein Rohrkrepierer! Da braucht es kaum eine Parade: „Schon mal was von Kaugummi im Papier gehört?“

Und gleich einen Dreifachschlag nachgesetzt: „Die Schüler*innen haben länger kein Hungergefühl! Kaugummikauen wirkt beruhigend und reduziert Stresshormone! Außerdem helfen Kaugummis gegen Reise- und Morgenübelkeit – eine höhere Unterrichtsteilnahmequote ist also garantiert!“

Das hat gesessen, der Lehrer hängt in den Seilen. Der Coach fächelt mit dem Handtuch Luft zu. Ein verzweifeltes Aufbäumen: „Aber es ist RESPEKTLOS gegenüber dem Gesprächspartner!“

Da reicht eine linke Gerade: „Respektloser als schlechter Atem? Ich sage nur Kaffee, Zigaretten, Döner, Al…“

„Schluss!“, ruft der Ringrichter, aber der Schüler tänzelt noch immer angriffslustig von einem Bein aufs andere: „Das ist alles, was du drauf hast?!“ Da kann der Lehrer nur noch müde den rechten Handschuh heben, aber an Aufstehen ist nicht zu denken. Der Fight ist gelaufen.

Zähneknirschend stoßen Boxhandschuhe unter der strengen Aufsicht des Ringrichters aneinander, dann wird der Arm des Siegers in die Höhe gereckt. Das Publikum ist außer sich.

Arm in Arm wanken Sieger und Besiegter aus dem Ring Richtung Umkleide. Der Lehrer bringt ein schiefes Grinsen hervor: „Und – nächste Woche wieder, gleiche Zeit?“

„Welches Thema?“

„Handynutzung in der Schule?“

„Weiß nicht, Digga. Ich glaub, du hast erstmal genug.“