Achtung! Dies ist eine Warnung! Der nun folgende Mr.HO-Artikel kann bei empfindsamen Personen zu Ablehnung und Reizung bis hin zu totalem Kollaps führen! Darüber hinaus kann er Spuren von Pauschalurteilen, Sarkasmus und Wahrheit enthalten.
Willkommen im zweitausendvierundzwanzigsten Jahr des Herrn und damit in einer Zeit, die sich die Sensibilität ganz groß
Wer den Wolf fürchtet, sollte nicht in den Wald gehen.
- Tschetschenisches Sprichwort
Achtung! Dies ist eine Warnung! Der nun folgende Mr.HO-Artikel kann bei empfindsamen Personen zu Ablehnung und Reizung bis hin zu totalem Kollaps führen! Darüber hinaus kann er Spuren von Pauschalurteilen, Sarkasmus und Wahrheit enthalten.
Willkommen im zweitausendvierundzwanzigsten Jahr des Herrn und damit in einer Zeit, die sich die Sensibilität ganz groß auf die babyrosa Fahne geschrieben hat (rot ist nämlich echt zu krass): Niemand muss mehr befürchten, sich unversehens einem Content ausgesetzt zu sehen, mit dem er/sie möglicherweise nicht einverstanden ist, denn für alles gibt es Präambeln, Gefahrenhinweise und Triggerwarnungen:
Klar kannst du dir die allererste Otto-Show von 1972 in der Mediathek angucken – aber bitte erschrick nicht, denn einige Witze sind vielleicht nicht mehr zeitgemäß!
Willkommen zum Actionfilm beim Streaminganbieter deines Vertrauens – es werden jedoch Nacktheit, Alkoholkonsum und Gewalt zu sehen und Schimpfwörter zu hören sein! Außerdem werden einige Menschen rauchen – und andere brennen!
Hereinspaziert in die Sonderausstellung „Geschichte des Serienmordes“, in der du aber möglicherweise mit abgründig schwarzen Seelen und ihren verstörenden Taten konfrontiert wirst – denn, wie der Name schon sagt, es handelt sich um eine Ausstellung über SERIENMÖRDER!
Die Aufzählung könnte noch länger fortgesetzt werden: Theaterstücke, Bücher, Internetseiten – alles mögliche warnt mittlerweile vor sich selbst. Das ist der Alarmismus, wo jeder mitmuss.
Es gibt natürlich gute Gründe, psychisch prädestinierte Personen vor dem Kontakt mit bestimmten Medien zu warnen, denn die werden im wahrsten (und einzigen) Sinne des Wortes getriggert, d.h. retraumatisiert.* Dieser eigentlich psychologische Fachbegriff hat es aber mittlerweile in die Umgangssprache geschafft und jeder fühlt sich irgendwie davon betroffen. So vor einiger Zeit eine Schülerin, die mich bat, ein bestimmtes Wort nicht mehr zu benutzen, denn: „Das triggert mich total!“ Fast hätte ich entgegnet: „Und mich diese Aussage!“ Habe ich aber nicht, denn ich bin der Meinung, dass der Begriff denen gehört, für die er einmal erfunden wurde.
Davon also abgesehen: Gäbe es vielleicht eine Institution, in der man die korrekte Einordnung historischen Un-, Irr- und Schwachsinns möglicherweise gezielt behandeln könnte? In der man regelrecht lernt, welches rassistische Menschenbild (oder sexistische, homophobe, sucht euch etwas aus) sich in welchen überkommenen Darstellungen, Bezeichnungen und Alltagswitzchen äußert und wie man diese vermeidet? In der Respekt voreinander, vor anderen Kulturen und Religionen in Wort und Tat wiederzufinden ist?
In der man versteht, dass Toleranz nicht nur das zähneknirschende Ertragen des Anderen ist, während die Finger schon unruhig über der Tastatur zittern? Und schließlich: In der man sich absichtlich mit Inhalten konfrontiert, die potentiell Ablehnung, Widerspruch oder sogar Beleidigung provozieren könnten?
Jaja, das sagst du so leicht – und was machst du selbst?
Nichts Großartiges, zugegeben. Ich lese in der Zeitung regelmäßig eine Kolumne, deren Inhalt allermeistens nicht meiner persönlichen Meinung entspricht. Manchmal finde ich das noch entfernt nachvollziehbar, aber meistens bereitet es mir fast körperliche Schmerzen, diesen Blödsinn jedesmal wieder zu konsumieren – aber ich tue es trotzdem. Es hilft mir, zu verstehen, wie anders gepolte Menschen denken und lässt mich ihre Perspektive einnehmen und mit meiner abgleichen: Wer von uns beiden leidet möglicherweise unter den größeren Vorurteilen? Und keine Contentwarnung der Welt wird mich davon abhalten. Beleidigtsein muss man sich verdienen.
* https://taz.de/Psychologe-ueber-Triggerwarnungen/!5907830/