Wir schreiben das Jahr 2020. Nach den verlängerten Sommerferien dürfen die Schüler*innen wieder an ihre Wirkungsstätte zurückkehren. Die Schule ist in klar übersichtliche Bereiche eingeteilt, was gut ist, wenn man ein Virus in Schach halten will. Zumin
Wir schreiben das Jahr 2020. Nach den verlängerten Sommerferien dürfen die Schüler*innen wieder an ihre Wirkungsstätte zurückkehren. Die Schule ist in klar übersichtliche Bereiche eingeteilt, was gut ist, wenn man ein Virus in Schach halten will. Zumindest, solange Unterricht stattfindet. Was aber passiert in den Pausen? Ganz einfach: „So, dat sind nu eure zehn Quadratmeter, da könnta euch aufhalten, aber Abstand wahren, nich! Es kann auch Softball-Tennis gespielt werden, nachher nur eben desinfizieren. Vielleicht könnt ihr vermeiden zu atmen.“ Kaum zu glauben, was man alles mitgemacht hat, also schnell Sprung in die Gegenwart:
Es gibt wieder einen Pausenhof, der diesen Namen verdient hat, und meine erste Aufsicht dort zieht mir die Mundwinkel extrem nach oben: Da wird auf vier Körbe Basketball gespielt, geschaukelt, auf der Riesenwippe gewippt, im Freiluft-Gym trainiert oder zumindest so getan, man hängt sich an dieses karussellartige Ding, dessen Zweck ich nicht ganz verstehe, aber egal: Weil man’s wieder kann!
Analoger Spaß an der Freude, ohne dass ein elektronisches Gerät beteiligt ist. Bewegung, die nicht von Schulfluren, Sitzgelegenheiten und aufsichtführenden Lehrpersonen eingeschränkt wird. Es fühlt sich wirklich so an, als habe man nach Jahren des Umbaus, der Provisorien und Einschränkungen nun endlich das letzte Puzzleteil eingesetzt - und das ist oft das wichtigste, ohne das man das Motiv des Puzzles gar nicht erkennt.
Ja, ich lege mich fest: Der Schulhof ist das Herz der Schule. Neben den Klassenräumen ist er der wichtigste Ort zwischen 8 und 16 Uhr. Der Ort, wo die ganze vom vielen Sitzen über 90 Minuten aufgestaute Energie in 20 Minuten herausgelassen werden kann und muss. Wo man abseits von Partnerarbeit und Gruppenexperiment wirklich miteinander in Kontakt kommt – natürlich ist nicht alles Ringelpiez mit Anfassen, es werden auch, sagen wir, starke Meinungen ausgetauscht und Standpunkte gegenseitig klargestellt.
Der Schulhof ist ein Mikrokosmos, jeder findet hier seine Nische: Wer sehen und gesehen werden will, erklimmt die Spitze der Netzpyramide. Wer einfach nur Power abbauen muss, dreht am Karussell bis zum get no. Wer nicht ohne Konkurrenz leben kann, geht mit dem Basketball in die Arena. Wer den neuesten Gossip austauschen will, findet auf den Sitzgelegenheiten immer jemanden, der das auch will. Wer im kleinen Kreis die Vorzüge seiner neuesten Pokémonkarte diskutieren will, bekommt ebenfalls einen Rückzugsort dafür. Und manche wollen einfach nur im Sand sitzen und chillen. Egal, ob zehn oder zwanzig Jahre alt, das scheint ein universelles Bedürfnis zu sein.
Zugegeben, für uns Lehrkräfte ist der Schulhof in erster Linie Stress: Fünftausend Geräuschquellen auf einmal und ständig das wachsame Ohr: War das ein Schmerzensschrei? Wird gerade jemand gevierteilt? Der Kopf rotiert wie ein Leuchtturm, das Auge muss immer wieder blitzartig abschätzen: Macht dem Jungen im Schwitzkasten das gerade auch so einen Spaß wie dem größeren Jungen, der den Schwitzkasten bereitstellt? Bin ich Zeuge einer legitimen Regelerörterung beim Basketball oder fliegen hier gleich die Fetzen? Hat die Mädelsgruppe mit Rucksäcken auf dem Rücken jetzt wirklich frei oder nur Lust auf einen illegalen Einkaufsbummel außerhalb des Schulgeländes?
Umso mehr freue ich mich wie jedes Jahr auf den Schulhof des Lebens: die Sommerferien. Okay, ich werde nicht auf irgendwelche Pyramiden klettern. Und auch nicht über Pokémonkarten diskutieren. Aber das mit dem Sand und dem Chillen kann ich mir gut vorstellen. Gerne auch länger als 20 Minuten.
Schöne Ferien euch allen!