Im Anfangsunterricht Latein kommt man nicht umhin, sich über die unorthodoxe Gewandung der Römer zu wundern: Warum diese Bettlaken? Und wozu dann noch diese Streifen, die manchmal schmal, manchmal breit und manchmal gar nicht vorhanden sind?

Natürlich macht man bei einer solchen Gelegenheit das ganz große Fass der Philosophie auf und spricht über Statussymbole, Außendarstellung und Individualisierung  der Gesellschaft (soweit es die Aufmerksamkeitsspanne hergibt). Den Römern reichen ein paar Streifen an der Toga, um zu zeigen, wer sie sind. Und wir Menschen des 21. Jahrhunderts? Wir bedrucken Nummernschilder. Ganz recht, die maximal zwei Buchstaben und drei Ziffern vorne und hinten am Auto sind unser Himmelreich. Die ganze Bedeutung des eigenen Lebens hineingepresst in einen Informationsgehalt von etwas mehr als 19 Bit.

Schon lange vor der Erfindung des Geburtstattoos mit Uhrzeit, Koordinaten, Position der Planeten und sämtlichen Zwischennamen des Nachwuchses konnte man hier sich selbst oder den engsten Familienkreis verewigen: Je nach Lebensphase finden sich da die eigenen Initialen, die gemeinsamen Initialen mit dem Partner, die des einzigen Kindes oder die von beiden Kindern (Pech für das Drittgeborene – vielleicht auf Muttis Zweitwagen?). Bei den Zahlen das Gleiche: Die ganze Welt der Geburts- und Hochzeitsdaten steht einem offen – solange man nicht am 30.12. vor den Altar getreten ist. Man muss einfach Prioritäten und damit den Liebsten ein automobiles Denkmal setzen. Und kneift der Dispo auch noch so sehr – die fünfundzwanzig Piepen hat man immer übrig! Wer will schon mit AUR-QV herumfahren?

Bild Mr. HO 163

In meiner Wohnumgebung allerdings ist ein anderes interessantes Phänomen zu beobachten: So lassen zahlreiche Autokennzeichen, die mit AUR-EX bzw. AUR-HX anfangen, keinen Zweifel daran, auf welcher Seite der Oldersumer Straße man wohnt, jedenfalls nicht bei denen da drüben. So sieht gelebter ostfriesischer Mikropatriotismus aus! Kennedy hätte gesagt: Als freier Mensch bin ich stolz darauf zu sagen: Ich bin ein Extumer! Mit Spannung erwartet werden darf, wofür sich die Versprengten im Neubaugebiet hinter der BBS, das eigentlich in der entmilitarisierten Zone liegt, entscheiden werden.

Aber das geht auch in groß: AUR-HB, AUR-DO und andere offenbaren, wofür das Fußballerherz schlägt oder wo man sich gerne sähe, würde man nicht in Klein-Aurich residieren. Auch schon gesehen: AUR-NY. Norderney oder New York, Hauptsache teuer. Und wer sich weder Familie noch Wohnort noch Lieblingsverein auf die blecherne Fahne schreiben will, wählt einfach AUR-MY. Das bedeutet: Dieser fahrbare Untersatz ist mein ein und alles. Komm ihm nicht zu nahe oder es wird dir schlecht ergehen. Worttüftler allerdings kommen in unserem Landkreis kaum auf ihre Kosten, denn das einzige sinnvolle Wort, das man damit bilden kann – Aurum, lateinisch für Gold – hat in der breiten Bevölkerung keinen besonders hohen Wiedererkennungswert. Und Aura ist vermutlich längst vergriffen und nur gegen einige Blutdiamanten im Darknet noch zu bekommen.

Wie ernst jedermann diese durch die Landschaft fahrende Botschaft nimmt, erkennt man daran, dass einige Kombinationen von staatlicher Seite verboten sind und nicht vergeben werden: Schade für Keno Zimmermann, Sandra Süßen und Heinrich Jürgens, aber gut für die Demokratie, oder? Neidisch blickt man da auf den Amerikaner, der ganze Kurzgeschichten auf dem mülltonnendeckelgroßen Kennzeichen unterbringen könnte…wir brauchen einfach viel mehr Autos in Deutschland, damit sich zumindest das dreistellige Nummernschild endlich lohnt!

Diese Art von Problemen plagte den römischen Senator weniger – dafür musste er ein paar Denare mehr hinlegen, um den standesgemäßen Purpurstreifen am Neun-Meter-Betttuch zu finanzieren, denn der Senat war kein Countryclub mit Begrüßungsgeschenk und wenn du unter dem strengen Blick des Zensors den Offenbarungseid ablegen, d.h. den Geldbeutel umdrehen musstest und es plumpste nicht genügend Metall heraus, dann fand die nächste Sitzung ohne dich statt! 

Welches dieser beiden Verhaltensmuster nun tatsächlich bescheuerter ist, ob also eine kulturelle Weiterentwicklung stattgefunden hat, will sich mir auch nach mehrfacher Lektüre nicht erschließen.

Fußnote

  1. für Ortsunkundige: Extum bzw. Haxtum
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