Montagmorgen. Der Hauptrechner im Großhirn steht noch auf Standby, nur rudimentäre Hand-Auge-Koordination gelingt ohne Schwierigkeiten, im Smalltalk-RAM sind nur die gängigsten Phrasen zwischengespeichert („Auch schon hier?“), an Unterricht kaum zu denken. Aber es sind ja auch noch 30 Minuten bis Stundenbeginn. Wer hinreichend vom Wochenende geplättet aussieht, kommt vielleicht noch um erste Dienstgesprächsanbahnungen herum („Wegen der Situation letzten Donnerstag nochmal…“), wer das Postfach und seinen Inhalt (Taschenrechnerwerbung, Bitte um Mitwirkung bei der Back-again-Party, Mitteilung eines Schülerelternanrufs) ignorieren kann, vermeidet auch diesen Informationskanal, doch früher oder später öffnet sich das Iserv-Postfach und unzählige Mails betteln um die geschätzte Aufmerksamkeit: für eine (dem Leser unbekannte) Schülerin wird wegen häuslicher Probleme um Nachsicht bei der Hausaufgabenanfertigung gebeten, das englische Theater wird bald zu Gast und Iserv am Nachmittag für zwei Stunden nicht zu erreichen sein, die Oberstufenbibliothek verkündet neue Öffnungszeiten, ein Schulschlüssel mit schwarz-rotem Metallanhänger wurde in der Clubzone gefunden und der Hausmeister geht heute früher. Löschen? Yes to all.

Doch schon ist der geistige RAM-Speicher verstopft, versucht man den Informationsmüll mit einem guten Schluck Kaffee herunterzuspülen, hallen Informationsfetzen noch in der Großhirnrinde nach, als plötzlich die Pause beginnt und sich mit der Lehrerzimmertür ein weiterer Informationskanal öffnet: das Kollegium. Kaum jemand, der nicht noch irgendetwas zu besprechen, nachzufragen, anzusagen oder zu diskutieren hat: Welche Klasse diese Woche mit Hofdienst dran ist, wie die Erfahrung mit der eigenen Klasse im NWS-Fachunterricht war, wer wann Frühstück ausgibt, ob es Kandidaten für den Nachschreibetermin am Freitag gibt… Ganz zu schweigen von denjenigen Vertretern der Spezies Kollege, die jeden Gedanken ihrer persönlichen Tagesplanung zur allgemeinen Kenntnisnahme sofort laut aussprechen. Ein hastiger Blick auf die Uhr verheißt die Rettung: Der Unterricht hat begonnen! Der Fachlehrer wirft sich mit einem entschuldigenden Schmunzeln die Schultasche über die Schulter und setzt sich ab Richtung Klassenraum, wo er ungestört von jeglichem externen Informationsbombardement seine Weisheit versprühen kann.

Doch weit gefehlt: Der Lehrer hat noch nicht einmal den Raum betreten, schon warten vier Schülerinnen und Schüler vor der Tür, um als erste etwas loswerden zu können. Zähneknirschend genehmigt man eine Schnellaudienz: Na schön, dann mal los! - Ein Mitschüler habe sie die ganze Pause lang geärgert, jemand hat noch einen Zettel abzugeben, ein Erlebnis auf dem Bauernhof vom Wochenende muss unbedingt erzählt werden – und du, Nummer vier? – Ich? Ich bin nur so mitgegangen.

Dann aber, die rettende Freistunde! Einfach mal einen zweiten Kaffee trinken, das Regal aufräumen oder – na gut – mit der Korrektur der Oberstufenklausur beginnen. Aber Vorsicht: Konzentriertes Starren auf das oberste Blatt eines 10 cm hohen Stapels, bewaffnet mit einem Rotstift ist noch keine eindeutige Ansage im Sinne von: „Dieser Kollege ist gerade besetzt. Alle Informationskanäle sind gerade geschlossen. Bitte wenden Sie sich an einen anderen Kollegen…“ Bestimmte Informationsschnellfeuergewehre ignorieren selbst diese eindeutige Message gekonnt – bleibt nur der Rückzug in einen unzugänglichen oder dem Großteil des Kollegiums unbekannten Raum, will man tatsächlich ohne jegliche externe Reize konzentriert arbeiten.

Sind dann alle Telefongespräche geführt, alle Mails beantwortet, Kollegen und –innen sowie Schüleranfragen abgefertigt, Notizen abgeheftet, so kann der ruhige Teil des Tages beginnen. Vom duftenden Mittagessen angelockt, lässt man sich am heimischen Küchentisch nieder, um durchzuatmen. Doch dann: „Hier Papa, das haben wir heute gebastelt!“ – „Schreibst du noch einen Einkaufszettel für heute Nachmittag?“ – „Diese Woche sind noch folgende drei Termine…“ – „Ich geh heute zu Raffael!“ – „Bei uns fiel heute zwei Stunden lang das Computersystem aus…“

Wie sagt der Dichter: Ruhe, das höchste Gut auf Erden, kommt sehr oft nur durch Einsamkeit in das Herz.