Zeit für Hamma-Pädagogik: Wat hamma letztes Mal gemacht?*
Pff.
Irgendjemand?
Ja, auch wenn ihr krank wart, habt ihr trotzdem die Pflicht, das nachzuarbeiten!
Mannmannmann.
Also, es ging um außerschulische pädagogische Angebote, im Volksmund Klassenfahrten, aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler und ihrer daraus erwachsenen Legenden. Was aber treibt eine Lehrkraft dazu, fünf oder mehr Tage ihrer Freizeit gemeinsam mit einer Horde vor-, haupt- oder nachpubertierender Stressoren zusammengepfercht in einem öffentlichen Verkehrsmittel und danach in einer, sagen wir mal, Unterkunft zu verbringen, was für alle Beteiligten weniger Komfort und mehr Arbeit als zu Hause bedeutet?
Der Runderlass des niedersächsischen Kultusministeriums sagt dazu nur, dass „…die Teilnahme an Schulfahrten mit Übernachtung (…) für Lehrkräfte sowie für die Schülerinnen und Schüler freiwillig (ist)“, enthält sich jedoch jeglicher moralischer oder pädagogischer Verpflichtung. Und es gibt immer gute Gründe, nicht zu fahren – ich hoffe, ihr habt ein bisschen Zeit mitgebracht – als da wären: (tatsächliche oder zumindest gefühlte) 24-Stunden-Aufsichtspflicht über einen Sack Flöhe, behelfsmäßige Unterbringung und Beköstigung, nächtliche Einsätze wegen Heimweh, Zimmerparty, Brechdurchfall (oder allem in Personalunion) oder auch fehlende finanzielle Anerkennung für die geleisteten Überstunden (ja, wir Lehrer leben schon echt am Limit).
Dazu kommt, dass es sich noch nicht bei allen Schülerinnen und Schülern herumgesprochen hat, dass Klassenfahrten primär dem Zweck des Lernens und Erfahrens und nicht etwa dem des Urlaubens und Feierns dienen. Sobald ihnen das innerschulische Framing (Tische, Tafel, Block) fehlt, wird im Hirn irgendeine Verbindung zum Wissensspeicher gekappt, was bei jeder Andeutung einer Frage nach Vorwissen (meist von freundlichen Touristenführern gestellt) zu Schulterzucken und leeren Blicken führt: Der Lateinschüler bekommt die einfachsten Inschriften nicht übersetzt, die Chemie-Leistungskurslerin kann sich nicht vorstellen, wie das Bayerwerk an größere Mengen Chlor kommt, die Berechnung des Volumens eines Wasserbeckens (1 x 3 x 4 Meter) stürzt auch den Klassenprimus der 9. Klasse ins Grübeln. Man möchte am liebsten im Boden versinken. Sowieso: Als Mitreisender steht man selbstverständlich immer auf der Seite anderer pädagogischer Instanzen, vom Busfahrer über den Herbergsrezeptionisten bis zur Touristenführung. Wie aber verhält man sich, wenn sich ein erzieherisches Missverhältnis einstellt? Wenn also der Busfahrer fremdenfeindliche Witze erzählt (oder aus dem Bus springt und sich beinahe eine Prügelei mit einem englischen Motorradfahrer liefert, aber das ist eine andere Geschichte), der Rezeptionist völlig weltfremde Ansagen macht, die Touristenführung bleierne Langeweile verbreitet?
* Leser-Witz des Monats, eingesandt von Peter S. Vielen Dank!
Natürlich drückt man den Rücken durch, nickt vielsagend, was alles Mögliche bedeuten kann („Ich hab’s euch ja gesagt!“, „Gut zuhören!“ oder „Seht ihr? Das wird aus euch, wenn ihr die Schule schleifen lasst!“) und hält sich stillschweigend im Hintergrund – sofern man nicht das Pech hat, als Depp zur Erheiterung der Kinderchen vorgeführt zu werden („Dann wollen wir doch mal gucken, ob euer Lehrer das kann!“). In diesem Zusammenhang kann ich nur vom Besuch des Hamburg Dungeons abraten, wo den Kids in vulgärer Sprache „lokale Geschichte“ nähergebracht wird, nur um dann ein Vieraugengespräch mit dem Fahrtenleiter anzuberaumen, wenn selbige in gleicher Weise antworten.
Zurück zur Eingangsfrage: Warum nur sollte man sich so etwas antun?
Nun, erstens sind auch mehr oder weniger Erwachsene nicht frei von den Mechanismen, die bei der Schülerschaft greifen**. Zweitens hat man aber die einmalige Chance, sowohl Kolleginnen und Kollegen als auch Schülerinnen und Schüler in völlig anderem Rahmen zu erleben, sie bei neuen Erlebnissen und Erfahrungen zu beobachten und dann innerlich gereift wieder mit nach Hause zu nehmen. So kann man sich selbst bei lernresistenten Exemplaren der Spezies Schüler immer noch trösten: „Damals, auf der Klassenfahrt in Sechs, hat er sich getraut, bis ganz nach oben zu klettern! Das war ein großer Erfolg für ihn!“
Da können Schlafdefizit, Lärmbelästigung und Schäden am Nervenkostüm noch so verheerend sein – beim nächsten Mal sind wir wieder dabei!