Was für eine Wohltat wäre es nicht,
die Ohren so leicht verschließen und öffnen zu können
als die Augen.
- Georg Christoph Lichtenberg
Einer der Gründe, die von alteingesessenen Lehrkräften immer als Pluspunkt für ihr Berufsfeld angeführt werden, ist der ständige Kontakt mit der jungen Generation, deren Frische, Aktualität und Erdung – so der fromme Wunsch – auf die Lehrperson übergehen soll. Und ja, ohne diesen Kontakt wüsste ich zum Beispiel nicht, wer oder was Fidgetspinner, Tik Tok oder Capital Bra wären, wodurch ich in Gesprächsrunden von Eltern mit viel älteren oder viel jüngeren Kindern auftrumpfen kann. Das Problem ist: Will ich das alles überhaupt wissen? Will ich mir diesen Jugendslang jeden Tag anhören? Die Ohren, das wusste schon Herr Lichtenberg, lassen sich davor ja nicht verschließen – also habe ich beschlossen, die tägliche auditive Berieselung zu Forschungszwecken zu nutzen. Und da ergibt sich doch allerlei Interessantes, zum Beispiel das Wort „gut“.
Jede Epoche hatte ihren eigenen Begriff, um etwas als positiv zu charakterisieren und zu bekräftigen. Den Anfang macht „famos“, dem lateinischen famosus entlehnt, das schon Mitte des 19. Jahrhunderts in Mode war. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist alles „prima“, in den Goldenen Zwanzigern war dann vieles „dufte“, wenn nicht gar „knorke“, zumindest in Berlin. Für die folgenden Jahre ist kein Szenewort belegt, was kaum verwundert, gab es doch kaum etwas, das man so hätte bezeichnen können. Erst die 68er-Generation bringt dann eine wahre Explosion an Modewörtern: Die 70er mit „stark“, „astrein“ und „irre“, die 80er bringen mit dem typischen Futurismus Vorsilben wie „hyper“, „ultra“ und vor allem „super“ ins Spiel, landen mit „geil“ aber auch einen Evergreen, der bis heute zu hören ist und sich nicht zuletzt durch die Werbespots einer Supermarktkette zu neuen Höhen aufgeschwungen hat (in den 80ern selbst schmunzelten die Älteren noch verschämt ob der eigentlichen Bedeutung des Wortes).
Die 90er brachten einen weiteren Dauerbrenner: „cool“, Ende der 90er wurde dann im Sinne des Hip-Hop-Booms alles „krass“, „fett“ und „lässig“. Im neuen Jahrtausend bricht sich die Netzsprache Bahn und „lol“ avanciert zum gängigen Gutfindebegriff (der erste, den ich nicht mehr mitgemacht habe!). Wem das zu kindisch ist, der sagt eben „mega“ oder – die jüngste Inkarnation, aber, wie ich finde, auch die schwächste – „nice“. Die allgemeine gefühlte Beschleunigung des täglichen Lebens schlägt sich also auch hier nieder – wäre das Wort „nice“ ein DAX-Unternehmen, würde ich so langsam anfangen, meine Anteile abzustoßen. Mit „stabil“ steht ein möglicher Nachfolger schon in den Startlöchern, ich räume ihm aber keine großen Chancen ein – zu sperrig und nicht englisch.
Eine zweite, weitaus nervigere sprachliche Entwicklungsreihe ist der Begriff, mit dem man einen Kumpel oder eine Kumpelin bezeichnet. Bemerkenswert hierbei ist, dass sämtliche Begriffe von beiderlei Geschlecht für beiderlei Geschlecht verwendet werden: früher „Junge“ (was immer sehr lustig war, wenn sich zwei Mädchen so ansprachen), dann das allgegenwärtige „Alter“ (das Pendant zu „geil“, das auch Erstklässler schon mit einer erschütternden Selbstverständlichkeit benutzen), später kam dann der „Bro“ auf und seit einiger Zeit höre ich eine Million Mal am Tag „Digga“. Mainstreamurkundlich erfasst ist der Begriff erstmals 2000, zu hören in „Türlich, türlich“ von Das Bo, es dauerte also fast zwanzig Jahre, bis er in die Niederungen deutscher Schulhöfe durchgesickert ist. Auch das sehr interessant – aber ich kann es nicht mehr hören! Oder wie es meine Schüler formulieren würden: „Digga, laber!“