Es gibt Stunden, da ist man dankbar über ein wenig Auflockerung, und sei es auch nur ein gutgemeinter Wortwitz, eine dahingeworfene Meinungsäußerung oder eine spaßige Bemerkung eines Schülers. Und dann gibt es Stunden, da möchte man um alles in der Welt, dass genau das nicht passiert.
Zu Beginn von Klasse 5 wähnt man sich noch in ruhigen Gewässern, zumindest, was den Sprachgebrauch angeht: einfache Sprache, keine Schachtelsätze, Fremdwörter werden durch deutsche Entsprechungen ersetzt. Aber schon im zweiten Halbjahr, wenn man die schriftlichen Rechenverfahren wiederholt, zeigen sich erste Untiefen, über die man hinwegschrammt, nämlich dann, wenn man bei der Division (die unter Grundschulkindern noch unter der unverfänglichen, wenn auch leicht abwertenden Bezeichnung „Rattenschwanz“ firmiert), die nächste Zahl von oben, ja, genau, herunterholt. Da hört man es zum ersten Mal, das unterdrückte Kichern frühreifer Fünftklässler, meist männlichen Geschlechts: „Höhö, einen runterholen!“ Gegensteuern zwecklos, selbst, wenn man nun von an betont „herunterziehen“ oder „herbeiholen“ sagt, erntet man doch nur umso größeres Geguffel.
Wer nun aber denkt, das sei es gewesen mit verfänglichen fachlichen oder halbfachlichen Ausdrücken, der steuert blind auf ein ganzes Riff von Zweideutigkeiten und vermeintlichen Anspielungen zu, und die pubertierende Haimeute im Wasser wartet nur begierig auf den ersten Schiffbruch.
Der Winkel ist das, was zwischen zwei Schenkeln liegt, da beißt die Mathemaus einfach keinen Faden ab. Und das fachsprachlich einwandfrei zu verkaufen, erfordert übermenschliches semantisches Geschick!
Die Zahl Sechs heißt bei den Römern nun mal sex und der ein oder andere römische Zeitgenosse mit Vornamen Sextus (und dann auch noch einer, der die arme adlige Lucretia vergewaltigte!), aber für den darauffolgenden Stimmungsausbruch darf man im Stundenentwurf schon mal zehn Extraminuten einplanen. Die Bedeutung des Wortes Sinus („Busen“) erwähnt man auch in Klasse 10 natürlich mit keinem Wort, ebenso verkneift man sich die Eselsbrücke „oral = mündlich“ für die Vokabel os, oris. Warum soll man sich Funktionsgraphen mit zwei Hochpunkten (übrigens in dem Thema mit dem unglücklich betonten Wort „Analysis“) nicht für die Oberstufe aufsparen, da weiß das Publikum den fachlichen Wert wenigstens zu schätzen, anstatt Anzüglichkeiten durch die Reihen zu murmeln! Und auch den Imperativ des Verbs facere – machen, tun (fac!) muss man doch nicht unbedingt kennen, oder?
Manchmal sind die Klippen der Verfänglichkeit aber ebenso unausweichlich wie unerwartet, etwa dann, wenn Heinz-Renko schon Seitenzahlen zu einem Fachgespräch über Sexstellungen anregen – die Macht des Testosterons ist stark in seiner Familie und momentan ist er der dunklen Seite näher als der hellen. Anstatt also still in sich hineinzugackern, posaunt er seine Entdeckung zum Leidwesen der Lehrkraft hinaus in den Unterricht – als protzige pubertäre Provokation! Und man kann sicher sein, dass seine Stormtrooper ihm alsbald sekundieren werden… Und manchmal kommt das Sperrfeuer von unterhalb der Gürtellinie auch völlig unvermutet: „Was ist eigentlich Blasen?“ fragt die unvorbelastete Siebtklässlerin aus dem Nichts den entsetzten Gesellschaftslehrer.
Nach einem kompletten Durchgang von Klasse 5 bis 10 wird dann dem Kapitän, als er sein malträtiertes Schiff im Trockendock der Sommerferien begutachtet, klar: Ausweichen war keine gute Idee! Es wirkt ja auch irgendwie antiquiert, wenn man als Lehrkraft des 21. Jahrhunderts solche Momente verschämt wegzulächeln versucht. Also volle Kraft voraus aufs Riff? Nach dem Motto: Wir packen den Stier bei den Hörnern und integrieren das Thema in den Unterricht? Das schaffen wohl nur die findigsten Skipper – viel zu groß ist die Gefahr, am Riff steckenzubleiben, denn dann kann man sich die Stunde vollends in die Haare schmieren (und die Folgestunde womöglich auch noch). Da bleibt nur zu hoffen, dass der Käpt‘n seine Klasse bald wieder auf den Teppich…hm…tja…herunterholen kann.