Einst, um eine Freitagstunde, da mir zukam diese Kunde,
dass ich heut zu der Betreuung Säum’ger eingetragen wär‘,
nahm ich’s hin mit Seelenruhe, sagte mir, das sind doch nur
zwei kleine Stündchen Aufsicht führen und da stell‘ ich Ruhe her.
Das allein – nichts weiter mehr.
Also öffne ich die Türe, dass ich endlich nun erführe,
wer die Strafe heute spüre – doch der Raum war gänzlich leer!
Artig steh’n in Reih‘n die Tische, glänzt der Boden vom Gewische
und es wehet keine Frische zu mir hin vom Fenster her.
Ich allein – sonst keiner mehr.
Doch dann hört‘ ich plötzlich Schritte tapsen aus des Flures Mitte
und mit leisem, sanftem Tritte kommt ein Schüler zu mir her.
Spricht: „Pardon, ich soll erscheinen, um zur Arbeit zu verweilen.
Einen Grund seh‘ ich zwar keinen, doch ich komme gerne her.“
Setzt sich hin – und spricht nicht mehr.
Gelassen fang‘ ich an und suche Aufgaben aus Schülers Buche.
Springe zwischen vielen Themen, denn das Blätterfach ist leer.
Dann werde ich endlich fündig und erteile kurz und bündig
die Recherche deutscher Flüsse von der Quelle bis zum Meer.
Das genügt – nichts weiter mehr.
Eifrig scheinen Schülers Augen Infos aus dem Buch zu saugen.
Und so reiht sich Fluss an Fluss zu einer langen Liste her.
Stifte fliegen durch die Zeilen ohne einmal zu verweilen
und nach kurzer Arbeit schon steht parat am Pulte er.
Gibt’s mir und spricht: „Bittesehr!“
Huldvoll lächelnd kontrollier‘ ich, was mir eigentlich recht schwierig
vorkam, doch im Schriftergusse find‘ ich keinen Fehler mehr.
Schierer Schock lässt mich erblassen – kann ihn doch noch nicht entlassen?
Frage mich voll tiefer Sorge, wieviel Zeit vergangen wär:
Fünf Minuten – und nicht mehr.
Zitternd wandern meine Hände durch der Germanistik Bände,
ob ich was zu tun dort fände, was ihm lästig sei und schwer.
Werke, die vom alten Goethe stürzen ihn in arge Nöte,
soll er deuten und erörtern, ziehen soll er jede Lehr‘!
Das genügt – nichts weiter mehr.
Wieder geht er fix zu Werke, wandelt durch des Dichters Berge,
sichtet, grübelt und in Kürze ist der erste Füller leer.
Umso überraschter bin ich, als mir kurz darauf schon bündig
formvollendet präsentiert wird Johann Wolfgangs ganze Lehr‘!
Sprach der Schüler: „Bittesehr!“
„Potz!“, schrei ich ob dieser Kunde, „sprich, mit wem bist du im Bunde?
Führt die Feder ein dämonisch‘ Wesen aus Mephistos Sphär‘?
Bursche, dann lass uns mal sehen, wie weit kannst du hier heut‘ gehen,
wenn wir andere Fächer wählen. Sieh dich vor, da geht’s hoch her!“
Sprach der Schüler: „Gut, nur her!“
„Diophantos‘ Arithmetik, Platons Politik und Ethik,
Andy Warhols Postmoderne, Schopenhauers Sittenlehr‘.
All das schreibe fleißig nieder, immer weiter, immer wieder,
bis der Tintenstrom versiege und dein Geist ist endlich leer!“
Sprach der Schüler: „Bittesehr!“
Ach, das Herz will mir zerspringen, höre Teufelsstimmen singen,
kann denn nichts ihn je bezwingen? Alles hat gemeistert er!
Dringlich bohren Schülers Augen, scheinen Kraft mir auszusaugen,
wollen immer neue Arbeit, woll’n notieren jede Lehr‘!
Stöhnend ruf ich: „Hab‘ nichts mehr!“
Und die Zeit, sie stehet stille, eingefror’n von Schülers Wille,
Steht, als ob’s für alle Zeiten vierzehn fünfundzwanzig wär.
Panik lässt um Luft mich ringen, will hier fort, vor allen Dingen
möglichst weit von ihm entfernt sein, wünsch‘ mir Frieden, ach!, so sehr.
Doch er säuselt: „Bittesehr!“
Nimm denn dies, Dämonengöre, niemals geb ich auf, ich schwöre!
Hieran sollst du krachend scheitern, triumphieren nimmermehr:
Löse Fermats Satz mir nur und des Kreises Quadratur,
Find Beweise von dem Ufo, dort beim US-Militär!
Das als erstes – und noch mehr!
Die Struktur des Universums, Voynichs Manuskript-Bemerkung,
Ursprung des Bewusstseins und in Afrika kein Hunger mehr!
Schaffe ab die Pestilenz, belege Gottes Existenz,
Ist das Kleid nun wirklich blau und wo kam dies Signal denn her?
Sprach der Schüler: „Kann ich mal aufs Klo?“
Und der Schüler rührt sich nimmer, sitzt noch immer, schreibt noch immer
emsig an demselben Platze, ungerührt so wie vorher.
Meine Seel‘, sie schwebt von hinnen, doch die Zeit will nie verrinnen,
längst zernagt bin ich von innen und kein Leben ist hier mehr.
Sprach der Schüler: „Bittesehr!“