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Der Film ist als Quelle wissenschaftlicher Einsicht im Unterricht unverzichtbar. Nicht nur vereint er Bewegtbilder und Ton und spricht damit sowohl den visuellen als auch den auditiven Lernkanal an, er vermag es auch, Informationen sachlich und komprimiert auf den Punkt zu bringen und bietet dabei noch den Vorteil, dass mal eine andere Instanz als die ständig vorne agierende Lehrperson den Stoff vermittelt („Wenn ihr mir nicht glaubt, dann vielleicht Prof. Lesch?!“). Und die Zeiten dröge vor sich hin murmelnder gescheiterter Telekollegdozenten, die lausig animierte Zweifarbgrafiken mit einem so monotonen Soundteppich unterlegen, dass selbst Sonic, der rasende Igel, beim Laufen direkt in die Tiefschlafphase überwechseln würde, sind gottlob vorbei.

So und nicht anders ist es zu erklären, dass dieses didaktische Format intensiv genutzt wird. Die Frage, wieso dies zu bestimmten Zeiten des Schuljahres häufiger geschieht als zu anderen, muss jedoch erlaubt sein. Hier der Versuch einer Antwort:

Während der „heißen“ Phase des Schulhalbjahres (Anfang September bis Mitte Dezember und Anfang Februar bis Anfang Juli) verlässt sich der erfahrene Lehrkörper nicht zwingend auf die filmische Vermittlung der Inhalte, misstraut er doch der Aufnahmekapazität der medienaffinen Schülerschaft. Deren Ohren, so wähnt er, seien während der medialen Berieselungsphase gewohnheitsmäßig auf Durchzug gestellt, das Gehirn schalte ohnehin nach 60 Sekunden auf Standby, der maximalen Dauer eines Tiktok-Videos. Sind aber die Tests geschrieben, die Kompetenzen abgetestet, die Vornoten eingetragen, gehört man gerne zur Avantgarde und stürzt sich ins Medienvergnügen. Nie in der Geschichte der Lehrmaterialien war es mithin so einfach, den Schüler*innen mediale Inhalte zukommen zu lassen. Wo früher der Röhrenfernseher im zugehörigen Medienwagen mit angeschlossenem Videorekorder reserviert, herbeigerollt und dann, meist unter Zuhilfenahme mindestens zweier technisch versierter Schüler*innen umständlich bedient werden musste – außerdem musste eine entsprechende Videokassette vorhanden sein – genügt heute das sanfte Antippen des Smartboards.

Wer nun aber als Filmvorführer*in das junge Publikum bereits auf seiner Seite glaubt, täuscht sich möglicherweise, denn sobald dieses in der linken oberen Ecke des Videos die Worte „arte“, „ZDFinfo“ oder „phoenix“ erblickt, ist es häufig um die gute Laune geschehen. Grund: Medienkonsum wird größtenteils mit Entspannung, Abschalten, Sein-Leben-Chillen assoziiert. Das spiegelt sich dann auch im sofortigen Wechsel der Körperhaltung wider: Statt aufrecht zu sitzen, lässt sich der Oberkörper vornüber auf den Tisch fallen, wo vielleicht schon eine Jacke als Kopfkissen bereitliegt; zumindest aber werden die Füße hochgelegt, um in den Wohlfühlmodus zu kommen. Nun aber winkt der Präsentator plötzlich mit einem begleitenden Arbeitsblatt – ganz dreiste Typen halten den Film sogar zwischendurch an, um über das gerade Gesehene zu sprechen und stören so den Flow erheblich!

Viel beliebter sind da die Gute-Laune-Verbreiter*innen mit mindestens fünf Weihnachtsfilmen im Gepäck, deren Vorführung im Klassenbuch notdürftig als „Filmanalyse westlicher Weihnachtsklischees“ verbrämt wird. Was eigentlich gar nicht nötig wäre, denn man muss nicht alles, was innerhalb der vier Klassenzimmerwände passiert, unter der Überschrift „Wissensvermittlung“ verbuchen. Wozu immer Vorbildfunktion, wenn Vollbildfunktion völlig ausreicht? Soziales Miteinander, Entspannungsphase zur besseren Festigung des Gelernten, Beobachtung der Klasse unter einem anderen Gesichtspunkt, Vermittlung einer kulturellen Basis  – es gibt viele weitere gute Begründungen, mal einen Film zu schauen, auf dem nicht der Aufkleber „pädagogisch wertvoll“ prangt.  Zum Beispiel Monty Python’s „Das Leben des Brian“, der wäre eigentlich mal wieder dran. 94 Minuten absoluter Nonsens, aber die einschlägigen Zitate sind noch zwanzig Jahre später parat – gerade erst wieder im Lehrerzimmergespräch festgestellt.

Außerdem wäre es ohne den exzessiven Gebrauch vorweihnachtlicher Medien-Dauerberieselung nie zu der folgenden denkwürdigen Szene gekommen: Ich stelle die Tasche ab, blicke erwartungsvoll in die Runde, da ruft eine Schülerin flehend aus der letzten Reihe: „Bitte nicht noch einen Film!!“

Schade. Ich hatte mich so drauf gefreut.

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