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The best lack all conviction,

while the worst are full of passionate intensity.

- William Butler Yeats

 

Man sollte annehmen, dass, wer über eine hohe Sachkenntnis in welchem Bereich auch immer verfügt, diese durch eine Aura aus Selbstbewusstsein und dem dazugehörigen Swag ausdünstet. Ich weiß, niemand sagt mehr Swag, aber für die Semantik dieses Begriffs gab es noch kein Jugendsprech-Update. Jedenfalls sollte man ferner annehmen, dass, wer über wenig Sachkenntnis im selbigen Bereich verfügt, sich selten zu Wort meldet, Augenkontakt vermeidet und allgemein eher kleine Brötchen backt.

Falsch! Nimm dies, gesunder Menschenverstand!

Zwei pfiffige Psychologen, Mr. Dunning und Mr. Kruger, fanden nämlich heraus, dass die Zuordnung Kompetenz ⇒ Selbstbewusstsein nicht durch eine Ursprungsgerade dargestellt wird, sondern aber sowas von einem Knick aufweist, aber hallo! Und vor dem ist kaum jemand gefeit, nicht einmal Mr. HO.

Rückblende: Wir schreiben das Jahr 2000, es ist Sommer und Mr. HO hat gerade seine Note der mündlichen Abiturprüfung im Fach Mathematik bekommen. Die längsten Sommerferien aller Zeiten stehen vor der Tür, die Stimmung kann durchaus als euphorisch beschrieben werden und Mr. HO ist zufrieden. So zufrieden gar, dass er sich für die Zeit nach dem Zivildienst vornimmt, ein Studium der Mathematik für das Lehramt zu beginnen. Was soll schon schiefgehen mit so einer Abiturnote? Was kann die Mathematik denn noch Schwieriges aufbieten, das ich im Grundkurs noch nie gesehen haben sollte?

Dieser Moment ist in der holprigen Grafik rechts festgehalten: Bei genauem Hinsehen sieht man mich, voller Selbstzufriedenheit, auf dem Gipfel des Mount Dunning sitzen.

Schnitt. Ein Jahr später, das Studium hat begonnen und damit – der freie Fall! You know nothing, Jon Snow! Vektoren sind keine Pfeile! Du sollst nicht rechnen, sondern beweisen! Und wir addieren jetzt übrigens unendlich viele Summanden, aber manchmal kommt eine endliche Summe dabei heraus und du sollst sagen, wann!

Ich lag tief im Kruger Valley, verschüttet unter Selbstzweifeln, aus denen ich mich mühsam wieder herausarbeiten musste. Das war nicht besonders schön, aber ich habe in dieser Zeit mehr gelernt als in den dreizehn Schuljahren zuvor. Und ich spreche dabei nicht von Mathematik. Sondern von Arbeit, Sich-reinknien, Ackern. Und vor allem von Respekt. Respekt vor dem Fach und vor der Bildung im Allgemeinen. Es war ein Gefühl, als hätte man gerade herausgefunden, dass der Gartenteich, von dem man bisher dachte, man könnte drin stehen, ohne dass die Knie nass werden, in Wirklichkeit fünfzig Meter tief ist, unterirdische Nebenflüsse speist und eine submarine Kultur von schrecklichen Wasserwesen beherbergt, die keines Menschen Auge je erblickt hat.

Das lehren uns Dunning und Kruger: Wer ein bisschen über ein Thema weiß, hält sich für Einstein, wer ein bisschen mehr weiß, dem ist klar, dass er sich mit dieser Aussage gerade komplett lächerlich gemacht hat, und läuft fortan nur noch im Büßergewand herum. Den Effekt von Dunning und Kruger kann man fast jeden Tag beobachten: Ein Schüler hat die 1a) richtig gelöst, reißt die Arme hoch, zeigt den Bizeps und blickt sich beifallheischend um. Vielleicht entfährt ihm sogar ein: „Geeenius!“ Aber ich bin kein Spielverderber, im Gegenteil: Es gibt doch nichts Schöneres als Freude über ein Erfolgserlebnis. Auch wenn man weiß, dass unser Genius gerade erst die Nordwand des Mount Dunning hinaufkraxelt. Und auch die andere Seite sieht man: Diejenigen, die das Kruger Valley hinter sich gelassen haben, auf dem besten Weg sind, einen fantastischen Abschluss hinzulegen, aber jedesmal Stressflecken kriegen, wenn die Musterlösung von ihrer eigenen auch nur ein Mü abweicht! Ruhig Blut, ihr rastlosen Wanderer! Die Aussicht, die euch erwartet, liegt zwar nicht so hoch. Dafür stürzt man nie wieder ab.

Bild Mr. HO 119kl