Das Gute an Deutschland ist ja, dass im Prinzip jeder und jede für alles Experte oder Expertin ist. Macht der Bundestrainer seine Arbeit gerade nicht so gut? Da kannste eigentlich jeden fragen, wie es besser ginge. Ein Virus bedroht die Bevölkerung? Den besten Umgang damit kennt hundertpro dein Nachbar. Kaum jemand, der mit seiner Meinung, ach was, Expertise hinterm Berg hält. Das „Weiß ich nicht“ oder „Kann ich nichts zu sagen“ ist als Zeichen von Schwäche verpönt. Und natürlich haben all diese Expert*innen auch eine Meinung dazu, was in der Schule heutzutage (ganz wichtiges Wort heutzutage) gelehrt werden sollte. Insbesondere der Fächerkanon sollte nach Meinung vieler mal ordentlich entrümpelt werden und größtenteils durch neue Fächer ersetzt werden, die WIRKLICH was zum Leben beitragen. Dann mal los:

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Vielen sind die deutschen Schüler*innen zu theoriebelastet, man hört es praktisch aus jedem Wirtshaus schallen: „Ja mei, Schiller aufsagen und Atomkerne berechnen, des können’s, wissen aber net, wie man a Waschmaschin anstellt!“ Deshalb forderte Johanna Wanka schon 2015 das neue Unterrichtsfach „Alltagswissen“ und auch Meister Söder stößt 2019 ins gleiche Alphorn; er hätte gerne „Alltagskompetenz und Lebensökonomie“ im Stundenplan. Da wäre ich gerne Didaktiker, um so tolle Unterrichtseinheiten wie „Chancen und Risiken eines Online-Bankkontos im 21. Jahrhundert“ oder „Der Mietvertrag – Fluch oder Segen?“ zu konzipieren. Also gut, rein in den Stundenplan, am besten gleich mit fünf Wochenstunden, eine pro Tag und immer in der ersten Stunde, für die tägliche Dosis gesunder Menschenverstand. Dafür kürzen wir je eine Stunde Deutsch und Mathe sowie Religion und die Klassenstunde komplett. Gewissensfragen sind nun Sache der Alltagskompetenz.

Nächster Wunsch?  Der Vorschlag der österreichischen liberalen Neos: „Leben in der Demokratie“. Ich war immer der Meinung, dass es der Daseinszweck  von Fächern wie Geschichte und Politik sei, den Schüler*innen das Grundbetriebssystem „Demokratie 2.01beta“ aufzuspielen, aber offenbar geht da so viel verloren, dass man jede Woche daran erinnert werden muss. Bin ich grundsätzlich dafür – dann aber bitte auch für Erwachsene! Und es werden schriftliche Lernkontrollen durchgeführt! Da gehen dann sämtliche Stunden aus Gesellschaftslehre und der Rest vom Deutschunterricht rein, schließlich werden im Demokratieunterricht auch jede Menge alter und unverständlicher Texte vorkommen.

Da klopft schon das nächste Thema an: Digitalisierung! Unsere Jugend soll nicht nur lernen, wie sämtliche Officeprogramme angewandt werden, wie man eine E-Mail schreibt und einen Wecker programmiert, sondern auch, wie gefährlich das Internet ist und was man dort besser nicht tut. Bayerns Grüne wollten dafür 2018 das neue Fach „Digitalkunde“, in Niedersachsen läuft es seit dem Schuljahr 2023/24 unter dem Titel „Informatik“ als Pflichtfach – mit gemischter Resonanz, wie man hört. Dann besser groß denken und den Rest der Mathestunden sowie eine NWS-Stunde dafür opfern.

Fertig? Weit gefehlt! Eine ganze Warteschlange von Lobbyisten steht noch vor der Tür! Okay, der Reihe nach: Die Ärzteschaft Baden-Württemberg will 2023 das Fach „Gesundheit“ (Wozu? Damit plötzlich alle auf ihre Gesundheit achten und sie nichts mehr zu tun haben?). Bewilligt – das Fach speist sich aus Sport und NWS, Punkt. Der-Bank-Blog.de fordert 2021 „Finanzkunde“, weil die Jugend das laut einer eigenen Umfrage selbst so wolle (und der Bankblog erst!). Puh, jetzt wird es schwierig. Haben wir noch Mathestunden? Nein? Dann weg mit AWT, her mit den Finanzen!

Die Süddeutsche holt 2017 sogar das ganz große Besteck hervor und möchte die Kinder in „Unternehmensgründung“ unterrichten (Thema der ersten Klassenarbeit: Hire and fire!). Okay, aber dafür können wir nur eine Wochenstunde erübrigen, vielleicht eine Englischstunde, die zum Businessenglisch umgewidmet wird.

Eine Berliner Gemeinschaftsschule unterrichtet seit 2021 das Fach „Glück“ – wenn man die beteiligten Lehrkräfte erzählen hört, klingt das aber nach nichts anderem als solider Lehrer-Schüler-Beziehungspflege und Sozialtraining im Klassenverband, also nicht nach etwas wirklich Neuem. Egal, Glück kommt ins WPK-Band, Problem gelöst.

War’s das nun endlich? Nein – der Klimawandel soll nach dem Wunsch verschiedener Gruppierungen auch zum Schulfach werden. Vielleicht, wenn man sich nur auf Englisch über ihn unterhält…? No, sorry, das geht nun wirklich nicht. Vielleicht als Unterrichtseinheit in „Glück“ (Was für ein Glück, dass wir ihn nicht mehr erleben?) oder Alltagskunde (Was ist eigentlich eine Elementarschadenversicherung?).

Da hängt er nu, der neue Stundenplan. Und ich weiß nicht so recht, was ich von ihm halten soll. Am besten, ich vertage mich bis in zwei Wochen.