Was ist das schrecklich, wenn man mit sich selbst nicht einer Meinung ist.

Nach dem letzten Artikel habe ich den zugehörigen Comic gezeichnet, in der Hoffnung, die ganze Absurdität des Unternehmens „Frühjahrsputz im Stundenplan“ nochmal plastischer vor Augen zu haben, auf dass die Lachtränen fließen mögen. Aber je länger ich auf dieses Konstrukt blickte, umso sympathischer wurde es mir auf einmal. Wie kommt das?

Ich schätze, ich bin dem allgemeinen Populismus, der mit solchen Fächerwünschen daherkommt, ein bisschen zu sehr auf den Leim gegangen, dieser klebrigen Mischung aus grundsätzlich sinnvollen Gedanken und mit der Faust aufs Rednerpult hauender Empörung. Denn damit, dass im Bildungssystem „grundsätzlich was schiefläuft“, kann man wohl quer durchs politische Spektrum so ziemlich jeden keschern. Gerade diejenigen, die sich selbst gerne als progressive Denker*innen sehen, für die eigentlich jedes Festhalten am Alten pfui bah, weil konservativ ist. Du MUSST für unsere Vorschläge sein, denn sonst bist du von gestern! Ach, diese Qual!

Bild Mr. HO 134kl

Aber versuchen wir mal, diese populistische Zwiebel zu schälen, ob womöglich noch etwas darunterliegt:

Die Schule soll also Alltagskompetenzen verfügbar machen, gute Demokraten erzeugen, digital natives heranzüchten, Gesundheitsbewusstsein fördern, finanzielle Basics vermitteln und die Kids sollen dabei auch noch glücklich sein? Moment mal – sind das nicht alles Kompetenzen, die mal in der Jobbeschreibung des Elternhauses standen? Elternhaus, lustig, auch so ein Wort, das in die gleiche Kategorie gehört wie „heutzutage“ oder „Menschenverstand“. Also, wait a minute, versucht hier eventuell eine Gesellschaft, die primären Aufgaben ihrer Keimzellen auf eine staatliche Institution abzuwälzen? Damit mehr Zeit ist für Handyspiele und Netflix? Jaja, Populismus ist keine Einbahnstraße! (hier bitte Erhobenes-Zeigefinger-Emoji reindenken). Nach dem Motto: Die Schule ist unsere Menschwerdungsmaschine, da schmeißen wir sechsjährige Kinder rein und holen sie zehn Jahre später als fertige, vielseitig einsetzbare und problemlose Menschen wieder heraus. Denn wir wollen uns nicht so gerne die Mühe machen, unsere Kinder selbst auf die Probleme des Lebens vorzubereiten (wir haben auch ehrlich gesagt selbst genug davon), aber wozu gibt es denn Fachpersonal, das – relativ – gut dafür bezahlt wird? Okay, das waren ein paar Dezibel zu viel auf der Rage-Skala. Lieber mal wieder gemäßigtere Töne anschlagen (Motte and Bailey-Strategie, gerade von Mai Thi gelernt!) und auf die Sachebene runterklettern.

Es kommt mir nicht leicht über die Lippen, aber könnte es sein, dass die Damen und Herren Stundenplanumgestalter*innen den Einfluss unserer Institution auf die konkrete Lebensführung dramatisch überschätzen? Ich weiß, hier schreibt sich einer um Kopf und Kragen, aber allein der Zeitfaktor spricht gegen die Möglichkeit einer gründlichen Reprogrammierung*.

Außerdem habe ich die starke Befürchtung, dass den hippen neuen Lerninhalten, sobald sie einmal etabliert sind, das gleiche Schicksal droht wie dem present perfect progressive oder dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung: In der ersten Stunde noch neugierig beäugt, danach: Boooring! Und dann nach kopfinterner Abstimmung aller pubertierender Hormone: direkter Boykott. Ich lern doch aus Prinzip nicht, wie man einen Flug bucht, da kann die Alte sich auf den Kopf stellen! Ey, heute letzte Klausur über Basenfasten und dann erstmal bei Meckes feiern!

Umgekehrte Psychologie funktioniert eh viel besser („Das würde ich euch beibringen, steht aber leider nicht im Lehrplan.“ – „Och bitte!!“), am allerbesten aber das Wecken von Eigeninteresse ganz nebenbei – und schon sind wir wieder bei Heraklit und seinen Fässern und Fackeln. Oder, um es auf die einfachste denkbare Formel zu bringen: Gute Menschen helfen dabei, gute Menschen hervorzubringen. Und dann ist es fast egal, was genau sie unterrichten.

Zum Glück kenne ich da ein paar.

* siehe auch Episode 58: „Typisch – deine Kinder!“