Die Party-Agenda verlangt es von den Schüler*innen der Abschlussjahrgänge, dass die letzte Präsenzwoche in der Schule kostümiert zu verbringen sei. Jeden Tag mit einem anderen Kostüm zu einem vorher zu bestimmenden Motto, das über Wochen in einem komplizierten Abstimmungsprozess festgelegt wird: erster Senat, zweiter Senat, Hahnenkämpfe, Ouija-Brett, es werden praktisch alle Register gezogen. Am Ende sind Zeitreise und Kindheitshelden eigentlich immer dabei.

Und da ich seit jeher verkleidungsaffin bin – auch wenn ich mit dem „echten“ rheinischen Karneval erstmal nicht so viel anfangen kann – spiele ich das Spiel mit und gewande mich im Selbstversuch ebenso wie die Schülerschaft. Ein Erlebnisbericht:

Tag 1: Zeitreise. Klarer Fall für den Lateinlehrer, da wird natürlich in die Antike gereist und die muffige Toga nebst Caligae (mit echten Nägeln unter der Sohle!) vom Dachboden geholt. Sie gewinnt schon nach fünf Minuten den Preis für das unpraktischste Kostüm: Der linke Arm ist im Prinzip bewegungsunfähig, mitleidige Schüler bieten an, das Arbeitsblatt an meiner Statt zu verteilen. Alle zwei Minuten muss umständlich das Gewand gerichtet werden. Die Füße frieren, der Oberkörper dünstet im eigenen Saft. Aber als weißer Irrwisch durch die Flure zu schweben, hat schon was für sich. Solange kein Treppenhaus kommt, denn dann besteht akute Lebensgefahr.

Tag 2: Pyjama / Out of bed. Hier gehe ich einen kleinen Kompromiss ein und verschone die Schüler*innen mit dem Anblick meines Schlafanzugs, stattdessen kommen die Jogginghose, Badelatschen und ein altes T-Shirt an. Die Reaktionen fallen nicht halb so grandios aus wie am Vortag, eigentlich gibt es nur ein paar irritierte Blicke auf der Treppe. Komme mir ein bisschen vor wie ein Herzpatient auf Reha.

Tag 3: Anfangsbuchstabe. Ich entscheide mich dafür, den Rat meiner Kollegin anzunehmen und mich als Jedi zu verkleiden. Der Lieferdienst meines Vertrauens versorgt mich mit den dazu notwendigen Plünnen und in der erweiterten Familie findet sich noch irgendwo ein Laserschwert, also Bahn frei für Obi Wan, oder ist es doch Mace Windu? Der Auftritt im Lehrerzimmer zieht jedenfalls erstmal ein Fachgespräch nach sich. Die zu Unterrichtenden nehmen es positiv auf und ich kann endlich mal den Satz „Möge die Macht mit dir sein!“ sagen. Mehrfach. In der Außenaufsicht werde ich dann an die mindere Qualität des Jedigewands erinnert, denn es fröstelt mich doch sehr. Da war die Macht wohl nicht genug mit mir.

Tag 4: Mafia / Hamburg bei Nacht. Es bahnt sich der absolute Höhepunkt der Mottowoche an. Ich trage meinen blauen Anzug mit cremefarbigem, zwei Knöpfe weit geöffnetem Hemd, dazu Gold- und Silberkettchen sowie diverse Ringe an den Händen. Mein Sohn leiht mir gnädigerweise seine Pilotenbrille (für den „Drip“) und ich befehle den Haaren mittels einer halben Tube Gel, sich nach hinten zu legen. Als zusätzliches Accessoire dient mir ein Zahnstocher zum Draufrumkauen. Diese komplett halbseidene Aufmachung schindet offenbar den größten Eindruck bei allen Beteiligten. Muss ich an fast allen anderen Tagen neidisch auf die professionell gestylten Oberstufler*innen blicken, stelle ich heute fest, dass ich ganz gut mithalten kann, während viele eher nach Großtantchens Beerdigung aussehen.

Von den – ausnahmslos nicht verkleideten! – Kolleg*innen werde ich zwar noch als Falcos Geist oder Joe Biden tituliert, seine ganze Macht entfaltet das Outfit aber dann bei der Innenaufsicht in Gebäude 1: Ey, voll Gangster! Ey, Sie sehen voll fresh aus! Ey, gehen Sie auf ´ne Hochzeit? Der Respekt ist mir allerseits sicher, zumal ich noch damit anfange, beim Herumgehen mit meinem Schlüsselbund zu jonglieren – aber niemandem fällt die Überspitzung auf! Egal, jedenfalls immer ein Gesprächsthema.

Tag 5: Kindheitshelden. Hier muss ich passen, da ich keinen Unterricht, sondern nur eine kollegiale Zusammenkunft vor mir habe. Ich hätte noch Bumblebee den Transformer im Angebot gehabt. Werde natürlich auch prompt drauf angesprochen, wo denn mein Kostüm heute sei. Jaja, vielleicht nächstes Mal. Undankbares Volk.

Aber jetzt mal ganz unironisch: In welchem anderen Beruf hat man schon die Möglichkeit, in Verkleidung zu arbeiten und dabei noch jungen Leuten zuzusehen, wie sie sich und ihre Jahrgangsgemeinschaft mit ausgefallenen und kreativen Ideen feiern? Mit Kevin Kuh, Jannik Joghurtbecher und Noah Nudelpackung. Hammer.