Eine Matheaufgabe möchte, dass die Schüler*innen untersuchen, wie sich ein Kinosaal mit der Zeit mit Leuten füllt. Dafür hat sich der Lehrer, der seine Aufgaben hin und wieder mit etwas Humor würzt, zu dem fiktiven Filmtitel „Im Bann des Logarithmus“ hinreißen lassen, was ganz vielleicht ein subtiler Hinweis auf die Lösung der Aufgabe darstellt, aber eigentlich

Eine Matheaufgabe möchte, dass die Schüler*innen untersuchen, wie sich ein Kinosaal mit der Zeit mit Leuten füllt. Dafür hat sich der Lehrer, der seine Aufgaben hin und wieder mit etwas Humor würzt, zu dem fiktiven Filmtitel „Im Bann des Logarithmus“ hinreißen lassen, was ganz vielleicht ein subtiler Hinweis auf die Lösung der Aufgabe darstellt, aber eigentlich ein unwichtiges Detail ist, das die kalten Zahlen der Analysis nur etwas menschlicher erscheinen lassen soll. Mathelehrkräfte machen so etwas von Zeit zu Zeit – ich muss immer noch schmunzeln, wenn ich die alte Geometrieklausur eines inzwischen pensionierten Kollegen mit dem Ortsnamen „Posemuckel“ sehe oder wenn ich an die Abenteuer des Fußballers „Thorben Bockhorst“ (keine Ahnung, wer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt…) aus der mündlichen Abiturprüfung denke.

Laut loslachen dagegen muss ich dann beim Korrigieren meiner eigenen Klausur, denn eine Schülerin hat den Aufgabentext mit einem Kommentar versehen: „Würde ich mir nicht angucken“.

Um mal wieder eine unbelegte Kategorisierung einzuführen, möchte ich behaupten, es gäbe zwei Arten von Schüler*innen: Die, die einfach ihre Lösungen runterschreiben und brav tun, was man von ihnen verlangt. Und die, die für einen kurzen Moment innehalten und auf einer anderen Ebene über das nachdenken, was sie da gerade gelesen haben. Eine ganz neue Auseinandersetzung mit der Prüfungsaufgabe, die dann auch zu einer Kommunikation auf dieser Metaebene mit dem Autor führt. Die Schülerin aus dem Beispiel oben möchte mir mit ihrem frechen Kommentar so mitteilen: Erstens, wer guckt sich schon Filme über Mathematik an? Zweitens, wer baut solche unrealistischen Filme auch noch in seine Aufgaben ein? Und drittens, was hat der Logarithmus eigentlich mit meinem Leben zu tun? Womit sie eindeutig einen Punkt hat, denn in den meisten Berufsfeldern spielt der Logarithmus eine, sagen wir, untergeordnete Rolle. Wir befinden uns also eigentlich in einem Disput über Sinn und Unsinn schulischer Prüfungsinhalte.

Bild Mr. HO 166

Ganz anders verläuft die Diskurslinie im Lateintest des 10. Jahrgangs; dort geht es eher um Anspruch und Wirklichkeit. Im Übersetzungsteil taucht der Satz „Tua verba plena metus sunt.“ auf – zu deutsch: „Deine Worte sind voller Furcht.“ Und nach der Abgabe erblicke ich unten auf dem Textblatt den Schülerinnenkommentar: „Mea verba plena metus sunt, wenn ich an meine Note denke.“ Ihre Furcht war am Ende unbegründet, aber der Spruch ist für die Ewigkeit. Das muss man sich erstmal trauen – dem Lateinlehrer auf Latein zu antworten!

Ab und zu finden sich wortreiche Entschuldigungen in Klausuren, in denen dargelegt wird, warum der Schüler diese Aufgabe gerade gar nicht lösen konnte. Manchmal wird die Zeit, die eigentlich für Bearbeitung vorgesehen war, auch für spontane Kunstwerke wie ein kleines Gedicht oder ein Bild genutzt – richtig so: Leere Blätter sind hässlich – wenn schon scheitern, dann mit Stil!

Außerdem sind solche nicht angeforderten Kommunikationen geeignet, die absurde Ernsthaftigkeit der Szenerie zu durchbrechen und für einen kurzen Moment darüber hinwegzusehen, dass es hier gerade eigentlich um Leben und Tod in Form von Versetzung oder Schulabschluss geht, aber es sitzen immer noch Menschen auf beiden Seiten des Lehrerpults, vielleicht können wir uns kurz daran erinnern?!

Und dann war da noch der Abiturient, der am Ende der allerletzten Aufgabe seiner Mathe-Abiturklausur statt der richtigen Antwort den denkwürdigen Satz schrieb: „Die Antwort ist 42, es ist die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest.“ Schön. Ohne die wachsamen Augen von Korreferent und Fachprüfungsleiter hätte ich mich vielleicht zu einem Bonuspunkt für die kreative Antwort hinreißen lassen, die erkennen lässt, dass ihr Verfasser zwar nicht die Mathematik bis in den letzten Winkel durchdrungen hat, dafür aber anscheinend die richtigen Bücher gelesen hat. Und das ist mir, bei aller Liebe zur Rechnerei, fast lieber.