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He du! Ja genau, du da vor dem Bildschirm! Hat dir heute schon jemand gesagt, wie gut du aussiehst? Denn das tust du! Und deine Entscheidung, diese Kolumne zu lesen, war eine deiner besten heute! Ich wette, heute ist dein Tag und was du anfasst, wird dir gelingen!

Na, wie war das? Ganz sicher völlig überzogen oder sogar unzutreffend – aber es hat sich gut angefühlt, oder? Wie lange ist es wohl her, seit du einem Schüler oder einer Schülerin ein solches Lob hast angedeihen lassen? Ach, noch nie? Wieso? Okay, verstehe, du wolltest ihn oder sie durch die Hervorhebung der Leistung nicht vor der Klasse bloßstellen oder beschämen? Vielleicht bist du auch der Meinung, dass Lob bei Schülern dazu führt, dass sie glauben, genug getan zu haben, das Arbeiten einstellen und jegliche Körperspannung verlieren, um als blobartiges Etwas über dem Tisch zu hängen? Es könnte aber auch sein, dass man dir während deiner Ausbildung – bewusst oder unbewusst – vermittelt hat, dass Schüler*innen durch Bestätigung nichts dazulernen, sondern nur durch das konsequente Hinweisen auf Fehler und ihre Vermeidung, also durch das Ausmerzen vorhandener Schwächen und das Optimieren des Lernprozesses. Diese Herangehensweise hat der Referent einer Fortbildung, an der ich teilnehmen durfte, einmal sehr treffend charakterisiert, als er von der Schule als Fehlersuchmaschine sprach. In der Tat, der Ansatz scheint verlockend – aus Fehlern lernt man! Ich habe mich mehr als einmal bei einem Schüler bedankt, der einen bestimmten Fehler begangen hatte – weil man daran so wunderbar irreführende Denkmuster erläutern kann, denen der Rest des Kurses dann nicht mehr zum Opfer fallen soll. Der Fehlerpionier opfert sich gewissermaßen im Kreuzfeuer des Unterrichtsgesprächs, während die anderen in Deckung gehen und den gleichen (!) Fehler bei sich korrigieren können. Ehrlich, ich werbe immer dafür, Fehler zu machen – aber die Schülerschaft tut alles dafür, sie zu vermeiden! Einige würden ihre Notizen lieber in Panik aufessen als daraus vorlesen zu müssen, aus Angst, es könnte sich der Fehlerteufel eingeschlichen haben. Weil man als Schüler*in so sozialisiert wird: Fehler sind schlecht, bitte begehe möglichst wenige! Das Dumme ist, dass Schule als System daraus ein Geschäftsmodell gemacht hat. Wenn ich als Lehrperson immer nur auf das eingehe, was noch zu verbessern, zu ergänzen, zu optimieren ist, die durchaus vorhandenen Erfolge aber keines Wortes würdige, sondern als selbstverständlich abnicke, dann wird sich ein Großteil meines Kurses als Versager fühlen. So wie ich beim Zahnarzt: Ich bin der Meinung, dass ich trotz zweier Füllungen im Backenzahn links oben meine Zähne in den letzten vierzig Jahren ganz gut gepflegt habe. Okay, ich drücke beim Putzen etwas zu doll, was mein Zahnfleisch zum Rückzug bewegt hat, und bin ein Zahnseidemuffel, das gebe ich zu. Aber muss man mir deshalb bei jedem Besuch das Gefühl geben, ich müsste das Zähneputzen nochmal wie ein Milchzahnbesitzer von der Pike auf lernen?

Außerdem erreicht man dadurch, dass die Schüler*innen ihre meiste Energie darauf verwenden, ihre Schwächen zu beseitigen – anstatt ihre Stärken auszubauen. Allgemeinbildung hin oder her – am Ende möchte man einen Beruf ergreifen, für den bestimmte Kompetenzen und Fähigkeiten wichtig sind, und das sind vielleicht gerade nicht Integralrechnung oder die Moll-Tonarten.

Lob schadet nicht. Es wärmt von innen, gerade in Zeiten, in denen das Distanzlernen groß geschrieben wird (seien wir ehrlich: Auch im Präsenzunterricht ist die Distanz gerade deutlich zu spüren!) und es an Highlights mangelt.

Was kann man tun? Oft sind es die kleinen Gesten, die aufbauen und Mut machen: Ein Vieraugengespräch nach Unterrichtsschluss mit verbalem Schulterklopfer. Eine persönliche E-Mail nach einer eingereichten Homeschoolingleistug. Ein Test mit Rot-Grün-Korrektur auch außerhalb der Oberstufe, damit nicht alles in blutrot „falsch!!!“ zu schreien scheint. Eine Feedbackrunde nach der Präsentation, in der jede/r mindestens einen positiven Aspekt nennen muss. Eine warme Dusche in der Klassenstunde (wo ist eigentlich die Lehrer*innendusche geblieben? Ich dusche seit Monaten eiskalt!). Ein kurzer Kommentar unter der Klausur. All das sollte den Lernenden das Gefühl, nein die Gewissheit geben, dass ein Zeugnis über sie als Mensch keine Aussagekraft hat.

Ach, Mr. HO…viel zu pathetisch, geht`s vielleicht ein Mü sachlicher?

Bild Mr. HO 89kl