Endlich ist er da, der neue Schulplaner für die Oberstufler! Und auch im Jahr 2024 ist ein analoges Buch, das an eine Klasse verteilt wird, noch ein Happening, weshalb alle Elftklässler*innen euphorisiert anfangen, darin herumzublättern. Meine Erfahrung sagt mir: zielführender Unterricht ist jetzt gerade wider Erwarten doch nicht möglich, also blättere ich auch. Und siehe da: Das Druckwerk enthält nicht nur leere Seiten mit vorgedruckten Linien, sondern auch zusätzlichen Content, zum Beispiel ein Periodensystem und eine mathematische Formelsammlung! Ich bin begeistert. Doch dann, ein paar Seiten weiter, springt mich diese Überschrift an: Bucketlist. Ich bin kurz irritiert. Für wie niedrig hält der Planer die Lebensdauer eines typischen Oberstufenschülers, dass er ihm nahelegt, sich schonmal zu überlegen, was er in der wenigen verbleibenden Zeit noch Sinnvolles mit seinem Leben anstellen könnte? Dann aber klärt sich das Ganze auf: Die „Bucketlist“ ist nur eine Liste von Zielen, die man sich für die Oberstufenzeit setzen und dann auch erreichen sollte.

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Wenig später begegnet mir schon wieder eine Bucketlist, diesmal geschrieben von meiner Tochter. Nein, kein Grund zur Sorge, sie hat noch ein langes Leben vor sich – auf der Liste stehen mögliche Aktivitäten für den Nachmittag, eine vorbeugende Maßnahme gegen mögliche Langeweile. Aber dieses Wort, woher kommt das…?

Da fällt es mir wieder ein: Im Film „Das Beste kommt zum Schluss“ von 2007 freunden sich zwei gegensätzliche Charaktere (Morgan Freeman und Jack Nicholson), beide unheilbar an Krebs im Endstadium erkrankt, im Krankenhaus an und beschließen, gemeinsam das Beste aus der noch verbleibenden Zeit zu machen. Dreh- und Angelpunkt des Films ist dabei die Bucketlist, die sich vom Englischen „to kick the bucket“, einer umgangssprachlichen Ausdrucksweise fürs Sterben ableitet und in der deutschen Synchronisation noch mit „Löffelliste“ (den Löffel abgeben, das deutsche Pendant) wiedergegeben wird. Auf diese Liste schreiben die beiden todkranken Buddies alles, was sie noch erleben wollen – und da einer von ihnen zufällig Millionär ist, ist kein Wunsch zu kostspielig. Ein lustiger und todtrauriger Film über die Vergänglichkeit des menschlichen Daseins. Den zu gucken, sollte auf jeder Bucketlist stehen. Sorry.

Leider hat der Film den Namen zu einem Phänomen geliefert, das es schon vorher gab und das sich hauptsächlich in Reiseführern wie „1000 Places to see before you die“ äußert: Auch wenn du nicht todkrank bist, so ist deine Zeit auf diesem Planeten doch begrenzt und deswegen solltest du sie mit möglichst vielen Erlebnissen anfüllen. Fangen wir doch erstmal mit 1000 Orten an. Im Umkehrschluss: Hast du diese 1000 Orte (oder auch nur 347 davon) nicht gesehen, wird deinem Leben etwas Essentielles fehlen, also go for it, und zwar zackig, die Uhr tickt! Mittlerweile gibt es sogar „111 Orte in Aurich, die man gesehen haben muss“. Ich wusste gar nicht, dass Aurich so viele Orte hat.

Der Leser solcher Ratgeber ist immer auf der Flucht vor Zeitverlust und Bedeutungslosigkeit, er hetzt durchs Leben, getrieben von FOMO (fear of missing out), wie es im modernen Mediensprech heißt. Es geht ihm nur noch ums Abhaken der Liste, schnell digital dokumentieren, dass er wirklich da war, am Strand von Ko Samui oder an der Klagemauer, und weiter geht’s. In ihm verfestigt sich der Gedanke: Irgendwo führt gerade irgendjemand ein bedeutungsvolleres, aufregenderes und allgemein geileres Leben als ich! Ich sehe es doch auf Insta!

Ist das heilbar? Ich empfehle eine doppelte Dosis Meister Eckhart. Erstmal zum Runterkommen: „Die Menschen sollen nicht so viel nachdenken, was sie tun sollen; sie sollen vielmehr bedenken, was sie sind.“

Und dann für die Langzeittherapie: „Die wichtigste Stunde ist immer die gegenwärtige; der wichtigste Mensch ist immer derjenige, der dir gegenübersteht; die wichtigste Tat ist immer die Liebe.“

Listen sind etwas Gutes, sie schaffen Struktur und Planung. Aber manchmal muss man sie zerknüllen. Im Moment sein. Und einfach machen, was jetzt gerade das Richtige ist.