Ich lasse mich auf den leeren Stuhl fallen. Neben mir sitzt das Känguru.
„Du hier?“, fragt es.
„Äh – ja?!“, entgegne ich schlagfertig, während ich mich aus der Daunenjacke schäle.
„Ich mein ja nur – in der Ankündigung zu dieser Fortbildung war von hochkarätigen pädagogisch-didaktisch geschulten Mitarbeitern die Rede.“
„Richtig. Was ich von dir aber nicht recht glauben kann.“ Den Ball habe ich mal clever zurückgespielt.
Das Känguru schiebt die Sonnenbrille auf die Nasenspitze und macht komische Sachen mit seinen Augenbrauen:
„Der Kaffee ist umsonst. Kein Malzkakao, aber ein passabler Ersatz.“
„Naja, da steht ein Schild, man soll 50 Cent in die Schüssel legen…“
„Sag ja ich. Umsonst. Im Übrigen sollte der Schule das meine geschätzte pädagogische Mitarbeit schon wert sein.“
„Was gedenkst du denn Pädagogisches beizutragen?“
„Kommt ganz auf das Thema dieser Runde hier an. Ich bin da breit aufgestellt.“
Ich blättere in den Unterlagen.
„Politischer Diskurs im fächerübergreifenden Unterricht.“
Das Känguru kippelt beim Zurücklehnen.
„Ach, das wird ein Heimspiel.“
Ich flehe: „Bitte, blamiere mich nicht! Ich habe einen Ruf zu verlieren!“
„Pfft!“, macht das Känguru, „doch wohl nur einen Ruf als Duckmäuser und KLEINKÜNSTLER!“
Der Referent, ein freundlich aussehender Mittfünfziger mit Haarkranz, stellt sich als Herr Schmalstieg vor und bittet direkt um Erfahrungsberichte aus der eigenen Unterrichtspraxis. Das Känguru meldet sich. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen.
„Ja, bitte, Herr…Entschuldigung, ich kann Ihr Namensschild nicht sehen.“
„Das muss Ihnen nicht peinlich sein. Zunächst möchte ich diesen ein wenig plumpen Versuch einer Gestaltung des Fortbildungstages auf Kosten der Teilnehmer aufs Schärfste rügen.
Zweitens habe ich einiges an Erfahrungen mitzuteilen, gerade weil ich wahrnehme, dass der politische Diskurs in den letzten 30 Jahren einer, sagen wir, Wischi-Waschi-Einheitsmeinung gewichen ist.“
Treffer und versenkt.
Zufrieden schlürft das Känguru seinen Kaffee. Mein Gesicht ist immer noch in meinen Händen vergraben.
Zunächst verfällt die Arbeitsgruppe in Schockstarre, dann jedoch nimmt der Referent, immer noch freundlich lächelnd, den Vorschlag auf: „Bitte, berichten Sie!“
Das Känguru erhebt sich und legt die Vorderpfoten wie an imaginäre Hosenträger an seine Brust.
„Gestatten Sie?“ Es schreitet vor den grau-weißen Tischen im Kunstraum mit den teils gebannt, teils gelangweilt wirkenden Lehrkräften auf und ab. Ein Schluchzer entringt sich meiner Kehle.
„Wie hinlänglich bekannt ist, werden die Ideen von Karl Marx und Friedrich Engels, zusammengefasst in welcher Schrift?!“ Das Känguru deutet drohend mit der Pfote auf einen schläfrig wirkenden Altpauker in der ersten Reihe, der daraufhin so sehr zusammenzuckt, dass er vor Schreck einen Hustenanfall bekommt.
„Wie heißt die Schrift?“, beharrt das Känguru.
„Das, äh, das kommunistische Manifest.“, stammelt der Mann mühsam zwischen zwei Hustenattacken.
„Geht doch.“ Das Känguru lächelt wohlwollend und fährt fort: „Dass also die Ideen der Herren Marx und Engels, zusammengefasst in der Schrift „Das kommunistische Manifest“ – hier ein Schmunzeln in Richtung des sich mühsam beruhigenden Lehrers – im Politikunterricht der allermeisten allgemeinbildenden Schulen nur ein belächelnswertes Kuriosum darstellen. Hier wird das Potential der Jugend sträflich vernachlässigt und die Möglichkeit einer frühestmöglichen Indoktrination vertan!“
„Stopp!“, brülle ich, „Aufhören! Das ist doch eine Farce hier!“
„Ich weiß“, sagt das Känguru, „aber wie du siehst, bemühe ich mich gerade, dem Ganzen einen halbwegs seriösen Anstrich zu verpassen.“
„Ich denke, das genügt fürs Erste“, schaltet sich nun Herr Schmalstieg ein, „gibt es dazu noch Fragen?“
„Ja“, sagt das Känguru und winkt mit seinem Thermosbecher, „wenn ich schon 50 Cent für den Kaffee bezahle, warum ist dann kein Malzkakao in der Kanne?“