„Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen.“
— Sunzi, Die Kunst des Krieges
Was ist der Job eines Lehrers? Die meisten, die sich anschicken, diese Frage zu beantworten, enden wohl mit einer Formulierung wie „den Kindern etwas beibringen“, obwohl wir Betroffenen natürlich wissen, dass es mannigfaltige Antworten darauf gibt*. Gleichzeitig antworten die meisten Menschen auf die Gegenfrage: „Könnten Sie sich vorstellen, in diesem Beruf zu arbeiten?“ mit „Um Gottes Willen, nein!“ oder mit Hyperventilation. Weil sie nämlich ahnen, vielleicht sogar genau wissen, dass mehr dazu gehört, als Klein-Klaus und Mini-Mia den Zitronensäurezyklus, den edlen achtteiligen Pfad oder den Kubismus beizupuhlen. Insgeheim ist mancher Vati froh, wenn er morgens den Nachwuchs verabschiedet, weil dann die Damen und Herren Lehrkräfte wenigstens für ein paar Stunden versuchen dürfen, das zu schaffen, woran er seit vierzehn Jahren scheitert. Doch die Vernunft gebietet, nicht alle renitenten Jugendlichen über einen Kamm zu scheren: Da gibt es die ererbte Renitenz derjenigen, die von ihren Eltern eingebläut bekommen haben, sich „bloß nicht zuviel gefallen zu lassen von den Lehrern“. Hilfesuchende Renitenz derjenigen, die sich widersetzen, weil das ihre einzige Möglichkeit ist Aufmerksamkeit zu bekommen. Exploratorische Renitenz – einfach mal ausprobieren, wie weit man bei Herrn Kaminski gehen kann. Und noch mehr: Da ist die sexistische Renitenz, die sich nur gegen Lehrerinnen wendet, während männliche Lehrkräfte, nun ja, vielleicht nicht mit Respekt, sondern eher so einer Art schulterklopfender Kumpanei behandelt werden. Pubertäre Renitenz, deren einziges Ziel es ist, Punkte beim bevorzugten Geschlecht zu sammeln. Die Renitenz des Freigeists, der sich einfach nicht in ein zeitliches, räumliches oder fachliches Schema pressen lassen will und jetzt lieber auf dem Schulhof Kopftetris mit Bodenplatten spielen will. Oder auch die Renitenz als Lebensform – eine der gefährlichsten Arten – geboren aus der traurigen Wahrheit, dass man einfach nichts mehr zu verlieren hat. Wer nun aber glaubt, es gebe ein einziges Patentrezept für jede dieser Unaussprechlichkeiten, die einem die Gesprächsphase, die Unterrichtsstunde, den Tag oder sogar das Leben vermiesen können, wenn man nicht aufpasst, der irrt. Im Laufe der Jahrhunderte haben Pädagogen ein beachtliches Arsenal an Sanktionsmaßnahmen ersonnen – von der mündlichen Rüge über Elterngespräch, Strafarbeit, Sozialdienst bis hin zu justizähnlichen Anhörungen und Klassenkonferenzen mit schwerwiegenden Folgen – doch seine Anwendung bleibt jeden Tag jeder einzelnen Lehrkraft wieder neu überlassen. Ein Pokerspiel: Wird es wirklich zum beaufsichtigten Hausmeister-Hilfsdienst kommen? Oder belässt man es doch beim drohenden Zeigefinger und der dringenden Warnung, so etwas nicht noch einmal zu machen? Wer knickt als erster ein? Was passiert eigentlich, wenn der Lehrer bis drei gezählt hat? Hat er je bis drei gezählt?
Okay, entschärfen wir die sprachlichen Bomben mal ein wenig, sprechen nicht mehr von Kampf und Krieg und erinnern uns, weshalb wir hier sind. Als gesichert kann gelten, dass es in jeder Situation hilfreich ist, einen Lehrer-Schüler-Konflikt nicht im Plenum der Klasse zu klären (zum Schutz übrigens aller Beteiligten), sondern in einem Sechs-Augen-Gespräch zusammen mit einer neutralen Person. Dann eine zumindest grobe Einordnung der Beweggründe in eines der oben genannten Schemata, gefolgt von einer entsprechenden Reaktion. Dann vermeidet man vielleicht die eine oder andere Klassenkonferenz.
„Danke für die warmen, wenn auch ein wenig naiven Worte, Mr. HO.“, mag jetzt manche(r) denken. Nun ja. Man muss die Bazooka ja nicht gleich wegschließen.
* siehe auch Episode 43: „Ihr Ticket zum Nervenkostümball“